Gelöbnis entzweit Angehörige der Hingerichteten

■ Sohn eines wegen des Attentats am 20. Juli 1944 Hingerichteten bezeichnet Gelöbnis als „mittelalterlichen Zinnober“. Auch unter Parteien herrscht Streit um den Bundeswehr-Eid

Das heutige öffentliche Gelöbnis von Rekruten der Bundeswehr stößt auf scharfe Kritik bei Angehörigen der Widerstandskämpfer. Zwei Verwandte der Attentäter, die den Tyrannenmord an Hitler heute vor 55 Jahren versuchten, haben dem Bundesverteidigungsminister Rudolf Scharping (SPD) geschrieben, ihnen mißfalle das öffentliche Rekrutengelöbnis von Bundeswehrsoldaten im sogenannten Bendlerblock. Hier waren einige Attentäter noch in der Nacht des Bombenanschlags standrechtlich erschossen worden – unter ihnen Oberst Claus Graf Schenk von Stauffenberg. Vom Minister kam bisher auf beide Schreiben keine Reaktion.

Peter Finckh, Sohn des im Zusammenhang mit dem fehlgeschlagenen 20.-Juli-Attentats in Plötzensee hingerichteten Obersten Eberhard Finckh, hatte Scharping mitgeteilt, daß er – trotz Einladung – nicht an der Gelöbnisfeier teilnehmen werde. „Denn ich bin nicht der Ansicht, daß die Bundeswehr und der 20. Juli 1944 in einem stringenten Zusammenhang, schon gar nicht in einer Tradition stehen“ (s. den Kasten rechts). Wie Finckh, selbst Sozialdemokrat, gegenüber der taz erläuterte, lehne er kollektive Gelöbnisse generell als „mittelalterlichen Zinnober“ ab. Im Zusammenhang mit dem 20. Juli störe ihn speziell, daß dieser Gedenktag „instrumentalisiert“ werde. Es gehe ihm „contre coeur“, daß gerade sein Vater, der stets für die individuelle Verantwortung gestritten habe, nun durch einen Kollektivschwur geehrt werde. Zudem habe die „herrschende Klasse“ den 20. Juli schon mehr als 50 Jahre für ihre aktuellen politischen Ziele benutzt – das Volksgerichtsurteil gegen seinen Vater sei aber erst im vergangenen Jahr für nichtig erklärt worden. Der Staat, den viele 20.-Juli-Widerstandskämpfer angestrebt hätten, „wäre auf eine sehr fragwürdige Demokratie hinausgelaufen“.

Für „danebengegriffen“ hält auch Rosemarie Reichwein das öffentliche Gelöbnis. Die Witwe des als Widerstandskämpfer am 20. Oktober 1944 hingerichteten Reformpädagogen Adolf Reichwein betont, sie habe Scharping schon vergangene Woche darauf hingewiesen, daß das Gelöbnis „fehl am Platz“ sei. Mit dieser „militärischen Aktion“, so Reichwein, werde der 20. Juli lediglich wieder von der Politik benutzt, während sie sonst „wenig darauf achtet“. Der deutsche Widerstand werde durch die Zeremonie auf einem abgezäunten Parkplatz neben der Gedenkstätte auf dem Gelände des Ministeriums zu sehr „auf die militärische Ebene gehoben“. Der bürgerliche und kommunistische Widerstand werde dabei leicht verdrängt. Ihr Mann habe sich immer gegen „rechte Politik und Militär“ gewandt.

Demgegenüber begrüßten zwei Söhne von Stauffenbergs das Gelöbnis. Franz Ludwig bezeichnete auf Anfrage die Vereidigung als „völlig richtig“. Es sei „selbstverständlich im Sinne unserer Demokratie“, daß sich die Bundeswehr damit zum Widerstand gegen Hitler bekenne. Sein Bruder Berthold, selbst Generalmajor a. D., hält es für „ganz normal“, daß die Bundeswehrsoldaten „ihre Bereitschaft zur Pflichterfüllung“ öffentlich geloben.

Während die Berliner Grünen von Scharping den Verzicht auf öffentliche Rekrutengelöbnisse forderten, verteidigten die Fraktionschefs von CDU und SPD, Klaus Landowsky und Klaus Böger, die Vereidigung. Die Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes – Bund der Antifaschisten sprach dagegen von einem „zynischen Umgang mit der Erinnerung an den deutschen Widerstand“. Philipp Gessler

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