Ein Stern schlägt ein

Da, da, darf man gratulieren? Das Theater Zentrifuge läßt Kurt Schwitters' „Zusammenstoß“ erzittern  ■   Von Esther Slevogt

Es fängt damit an, daß auf einem Hometrainer einer mächtig strampelt und uns erzählt, es sei ein Moped, worauf er sitze. Wie man es anhält, weiß er nicht und rast also weiter über Wiesen und Felder, bis er in der großen Stadt Berlin landet. Aber das ist noch nicht der Zusammenstoß, den der Titel des Stücks verspricht: „Der Zusammenstoß“, eine Groteske von Kurt Schwitters. Ein Stern soll auf der Erde einschlagen, mitten auf dem Potsdamer Platz, und bei diesem Zusammenstoß wird die Welt voraussichtlich untergehen. Das dabei alles kaputtgeht, stört bloß wenige. Für den Polizisten ist so ein Weltuntergang ein geradezu utopisches Szenario: das Chaos will schließlich organisiert sein. Es spielt das Theater Zentrifuge, erst in der Ufa-Fabrik und seit dem 8. Juli im Theater Zerbrochene Fenster. Weil das Theater Zentrifuge eine der ältesten freien Theatergruppen Berlins ist, fängt alles schon viel früher an.

Vor dreißig Jahren nämlich, als ins studentenbewegte Berlin mit seiner bürgerlichen Theatertradition Nachrichten aus Amerika und Frankreich über ganz andere Spielformen einschlugen. Nachrichten über offene Formen des Straßentheaters, und sich daraufhin ein paar junge Leute zu einem Arts-Laboratorium zusammentaten. Der Name, den sie sich gaben, stammte aus der Arbeitswelt und war Programm. „Wir wollten ja auch an die Arbeiter ran“, sagt Regisseurin Martha Hölters-Freier und blickt sehr sanft unter einem wilden roten Haarschopf hervor. Die Zentrifuge ist ein Gerät, das sich in rasender Geschwindigkeit um ein Zentrum dreht und dabei vieles nach außen und durcheinander schleudert.

Man experimentierte also mit verschiedenen Volktheaterformen, schielte nach dem großen französischen Pantomimen Etienne Decroux und dem amerikanischen Living Theatre. Später zog man mit sozialen Themen durch Strafanstalten und Erziehungsheime. Nach 1989 gab es eine feministische Phase. Aber da war die Zentrifuge schon auf der Suche nach neuen Publikumsschichten, denn Suventionen gab es jetzt nicht mehr. Als freie Gruppe war man lange fast allein auf weiter Flur gewesen. Bloß mit dem Grips-Theater und der Theatermanufaktur mußte man sich anfangs die Senatssubventionen teilen. Heute gibt es zahllose freien Gruppen, die Senatsgelder wollen. Wer leer ausgeht, ist meist schnell von der Bildfläche verschwunden. Oft wird tränenreich mit kollektivem Selbstmord gedroht.

Nur das Theater Zentrifuge gibt es immer noch. Von den Gründern ist nur noch Martha Hölters-Freier übrig. Peter Redecki, der in der jüngsten Schwitters-Produktion einen weltuntergangsbesessenen Polizisten spielt, ist schon der Sohn eines Zentrifugen-Urmitglieds. Alle ein bis zwei Jahre ein Projekt, das privat vorfinanziert wird. „Da hofft man natürlich, das Geld mit den Vorstellungen wieder einzuspielen. Doch dann merkt man schnell, daß das gar nicht geht.“ Natürlich kann hier keiner vom Theater leben, und jeder hat einen ganz normalen Beruf. Martha Hölters-Freier arbeitet beim Bundesumweltamt. Immer noch gibt es die bewährte Ensemblemischung aus Profis und Amateuren.

Nur der politische Anspruch ist inzwischen einer sehr text- und bewegungsintensiven Bildersprache gewichen. Nun also eine spielfreudige Schwitters-Kollage über das Berlin von heute im Kostüm der „roaring twenties“. Am Potsdamer Platz wartet man auf den Zusammenstoß mit dem fremden Stern. Es werden Steine geklopft auf der Jahrhundertbaustelle. Ein Saxophon hängt in der Luft, ein junger Mann spielt ab und zu darauf. Im Hintergrund leuchtet das Wort „merz“, denn der junge Mann (Roger Döring) soll der Dadadichter Schwitters sein. Eine Teetasse zittert, bis sie zerbricht. Im Hintergrund schnurrt die Ursonate des echten Schwitters im O-Ton. Ein Mädchen im goldenen Kleid (Constanze Harmann) balanciert durch den Raum, der Weltuntergang findet auch diesmal nicht statt. Da, da, darf man gratulieren?