Hundert Singles zum Verlieben

Glutäugige Tauchlehrer sorgen für erotische Katastrophen: In „The Global Inter City Single Tour“ in der Neuköllner Oper zieht eine Grundschullehrerin mit Ethnokette weiter in die weite Welt  ■   Von Miriam Hoffmeyer

Spröder Paradiesvogel oder arme graue Maus? Frei im Raum schwebend oder sitzengeblieben? Scheuer Eremit oder chattender Trendsetter? Wechselhaft sind die Erscheinungsformen des Singles, heftig wird über sein Wesen gegrübelt, und das nicht nur in Frauenzeitschriften. „Die Berliner Republik ist eine Singlegesellschaft“. analysierte der Spiegel neulich messerscharf, denn in der Hauptstadt seien Alleinlebende „gesellschaftlich akzeptiert“.

Das kann Sigrun Lust, Grundschullehrerin aus Passau, sicher auch von sich behaupten. Dennoch drängt es sie fort, zum „Happy Single Travel Club“ und weiter in die große weite Welt, die in Form von Leuchtgloben über der sonst schmucklosen Studiobühne der Neuköllner Oper baumelt. Drahtig und entschlossen steht Doris Prilop vor uns, in beigem Lehrerinnenchic mit Ethnokette und Kurzhaarfrisur. Und hebt an zu erzählen, wie sie die „Global Inter City Single Tour“ von Westerland nach Mexiko führt, von Odessa nach Tibet. Erzählt von ausgefallenen Flügen und Sightseeing bis zum Zusammenbruch. Und natürlich von der ewigen Suche nach dem ultimativen Spanier.

Doris Prilop und die Regisseurin Mechtild Erpenbeck haben die musikalische Reise gemeinsam entworfen. Wohlüberlegt, fast literarisch setzt Sigrun Lust ihre Worte, die eingestreute Prospektprosa („ein ausgewogenes Fünf-Länder-Programm“) gibt einen boshaften Kontrast dazu ab.

Grausam werden die verhaßten Single-Mitreisenden geschildert: der dicke, aufdringliche Münchner, die notorische Besserwisserin aus Halle. Da bleibt dem einsamen Herzen nichts übrig, als seine Hoffnung auf den charmanten Fitneßtrainer aus Sevilla zu setzen. Warum nur geht er nicht auf ihren Flirt ein, wundert sich Sigrun. Und warum hängt er immer mit seinen Kumpels herum, die ihn Lilian nennen?

Also weiter nach Afrika zum nächsten Desaster! Tangorhythmen weichen ekstatischem Getrommel. Drei Musikerinnen reisen mit Sigrun durch die Welt: Bettina Koch (Piano und Arrangements), Anja-Susann Hammer (Cello) und Babette Schwahlen (Schlagzeug). Operette, Schlager, Jazz und Neue Deutsche Welle fügen sich nahtlos in die Single-Irrfahrt. „Ganz Kuala Lumpur träumt von der Liebe!“ jubelt Sigrun.

Leider ist Doris Prilops Sopran eindeutig zu dünn, und ihrer Begleitung machen die schwierigen Stellen mächtig zu schaffen. Musikalisch ist der Abend also kein reines Vergnügen, auch wenn noch so originelle Instrumente aufgefahren werden, zum Beispiel ein Kinder-Keyboard und eine Tonpfeife in Form eines Froschs. Die Musikerinnen haben aber auch einiges auszustehen. Als Sigrun vor den Liebesattacken eines Russen zurückweicht, schmeißt sie die Pianistin glatt vom Schemel. Doch die zeigt Gelassenheit und spielt vom Boden aus weiter. Wenn Sigrun redet und nicht singt, widmen sich die drei diversen weiblichen Handarbeiten und dem Fachblatt Amica, das jeden Monat „100 Singles zum Verlieben“ anbietet.

Auch nach einer Fahrt um die ganze Welt und zahlreichen erotischen Katastrophen hat Sigrun aus Passau nichts dazugelernt und damit die lateinische Weisheit bestätigt, daß Reisende nur das Gestirn wechseln, nicht aber das Hirn: „Coelum, non animum mutant, qui trans mare currunt.“ Immer wieder wird sie auf glutäugige Tauchlehrer und Schiffsoffiziere reinfallen, sich aber auch immer wieder aufraffen und weitersuchen. Einsamkeit und Katzenjammer, Neugier und Lust am Aufbruch – die graue Grundschullehrerin verkörpert den zwiespältigen Universaltyp des Singles. Ihr Ziel ist der Weg. Nach diesem Stück kann sich die Single-Forschung getrost anderen Welträtseln zuwenden. Weitere Vorstellungen. 23. 7., 25. 7., 27. bis 31. 7., 3. bis 7. 8., jeweils 20 Uhr, Neuköllner Oper, Karl-Marx-Straße 131–133