Wie man erfolgreich erfolglos wird

Ein arbeitsloser Kirchenmusiker will das Bundessozialhilfegesetz mit einer Kunstaktion ad absurdum führen. Doch seine Originalität brachte ihm die Streichung der Sozialhilfe ein    ■ Von Barbara Bollwahn de Paez Casanova

Christian Blume will erfolgreich sein. Doch auf eine ganz besondere Art. „Ich will erfolgreich erfolglos sein“, sagt der 38jährige. Denn nur dann bekommt der Kirchenmusiker, der sich einige Jahre mit Vertretungen und auf Honorarbasis als freier Musiker über Wasser gehalten hat und zwei Jahre arbeitslos war, wieder Sozialhilfe. Die bezog er mit Unterbrechungen seit Anfang vergangenen Jahres.

Auch wenn die Behörden es nicht glauben: Blume will wieder arbeiten. „Ich habe nicht vor, mich in der Sozialhilfe häuslich einzurichten“, sagt er. Aber der Einstieg wird ihm nicht leichtgemacht. Blume, der sich eine Existenz als freier Musiker aufbauen will, hat gemeinnützige Gartenarbeit für drei Mark die Stunde geleistet, sich vergeblich um eine Umschulungsmaßnahme für Absolventen geisteswissenschaftler Fächer beworben, über Anzeigen einige Klavierschüler gefunden, an einer Schule die Leitung einer Musik-Arbeitsgemeinschaft übernommen und auch in der U-Bahn musiziert. Doch all das scheint das Sozialamt Wilmersdorf nicht zu interessieren. Das Amt verlangt schriftliche Nachweise über seine Bemühungen, Arbeit zu finden.

Eine Aufforderung, der Blume gerne nachgekommen ist. Weil er aber keinen Sinn darin sieht, Porto für absehbare Absagen bei der evangelischen Kirche auszugeben, die vor geraumer Zeit einen absoluten Stellenstopp verhängte, hat er eine „Kunstform“ gewählt und das Sozialamt darüber auch in Kenntnis gesetzt. „Bei der gewählten Form meiner Bemühungen handelt es sich um eine Kunstaktion“, schrieb er der Behörde. Um die gesetzlichen Bestimmungen des Bundessozialhilfegesetzes ad absurdum zu führen, schickte Blume seine Bewerbung samt Musikkassette mit Klavierimprovisationen an Stellen, von denen nur Absagen zu erwarten waren: an den Bundespräsidenten, den Regierenden Bürgermeister, den Petitionsausschuß des Deutschen Bundestages und das Sozialamt Wilmersdorf. Das Bundespräsidialamt teilte ihm mit, daß im Hause Herzog „leider nicht die Möglichkeit gegeben ist, einen Musiker oder überhaupt einen Künstler“ zu beschäftigen. Der Petitionsausschuß belehrte ihn, daß er sich um andere Arbeiten bemühen müsse, wenn er keine Anstellung als Musiker finde, und riet ihm, sich mit dem Vermittlungsdienst seines Arbeitsamtes in Verbindung zu setzen. Die Senatskanzlei von Eberhard Diepgen (CDU) antwortete, daß ihm bekannt sein dürfte, „daß der Regierende Bürgermeister kein Orchester beschäftigt und das Berliner Rathaus auch leider nicht über eine Orgel“ verfüge. Außerdem merkte die Kanzlei an, daß es zu bezweifeln sei, „ob solche Bewerbungen als ernsthafte Bemühungen anerkannt werden“.

Diese Befürchtung stellte sich als berechtigt heraus. Weil das Sozialamt Wilmersdorf kein Verständnis für Kunst hat, wurde Blume Mitte Mai die Sozialhilfe gestrichen. Nach Angaben der Senatsverwaltung für Soziales ereilte dieses Schicksal im vergangenen Jahr 354 Berliner. Im Jahr zuvor waren es nur 205. Blume, der schon einen Monat mit der Miete im Verzug ist, geht gerichtlich gegen die Einstellung vor. Eine Entscheidung steht noch aus. Blume betont, daß er arbeiten will, aber nicht in irgendeinem Job. „Ich kann als Künstler nicht alles machen“, sagt er. „Als Lagerarbeiter bei Edeka wäre ich als Künstler abserviert.“ Vom Sozialamt erwartet er die Zahlung der Soziahilfe für einige Monate, um weiter am Aufbau seiner Existenz als freiberuflicher Musiker zu arbeiten. Während die Arbeitslosigkeit bei ihm Depressionen verursacht und er zur Zeit krankgeschrieben ist, machen ihn die Bestimmungen des Bundessozialhilfegesetzes richtiggehend wütend. „Der Gesetzgeber kann nicht festlegen, was ernsthafte Bemühungen sind“, so seine Argumentation. Bei monatlich geforderten zwanzig bis dreißig Bewerbungen entstehe „notwendigerweise ein hoher Anteil von sinnlosen Bemühungen, die „fälschlich als ernsthaft gesehen“ würden.

Blume hat kein Problem damit, als Querulant bezeichnet zu werden. „Ich will die Strukturen offenlegen“, sagt er. Um die Ungerechtigkeit seines Falles darzustellen, hat er sich die Mühe gemacht, seinen Briefwechsel zu einer „Moritat vom sozialen Staat“ zusammenzufassen. Daß er dabei nicht ganz erfolglos ist, zeigt die Reaktion des Petitionsausschusses des Deutschen Bundestages, der ihm vor wenigen Tagen mitteilte, seine Eingabe einer erneuten Prüfung zu unterziehen. Auch die Sozialstadträtin von Wilmersdorf, Monika Schmiedhofer (Bündnis 90/Grüne), die ihm für die „hochinteressante Darstellung seiner persönlichen Erfahrungen“ dankte, schrieb ihm kürzlich, daß es „angesichts Ihrer Fähigkeiten und offenbar ausgeprägten Kreativität sicherlich möglich wäre, für Sie eine sinnvolle Erwerbsätigkeit zu finden“. Doch dafür müßte er bereit sein, seine gesetzlich definierten Mitwirkungspflichten zu erfüllen.