Nachfahren unerwünscht

■  Heute entscheidet das Landgericht Köln, ob der SFB-Tatort „Dagoberts Enkel“ am Sonntag ausgestrahlt werden darf

Die Fernsehzuschauer sollen beim Sender Freies Berlin (SFB) schon vor Betätigung der Fernbedienung in Atem gehalten werden. Also hat man sich für die erste Folge der neuen SFB-„Tatort“-Staffel, die am Sonntag abend laufen soll, einen entsprechenden Titel überlegt: „Dagoberts Enkel“. Ob es aber zu der Ausstrahlung kommt, wird heute gerichtlich entschieden. Denn der 49jährige Kaufhauserpresser Arnold Funke, der als „Dagobert“ Kriminalgeschichte schrieb, hat über den Berliner Anwalt und Presserechtler Christian Schertz beim Landgericht Köln eine einstweilige Verfügung beantragt.

Der Grund: Sowohl Titel als auch Geschichte des „Tatort“ weckten zu viele Assoziationen zu Funkes Geschichte. Obwohl er vor fünf Jahren wegen Bombendrohungen gegen den Karstadt-Konzern zu einer Haftstrafe von sieben Jahren und neun Monaten verurteilt wurde, ist seine Geschichte nicht vergessen. Selten amüsierte sich ganz Berlin so herzlich wie bei diesem Ganoven, der sich über Jahre ein unterhaltsames Katz- und Mausspiel mit der Polizei lieferte und stets darauf achtete, niemanden zu verletzen. Bis auf das „Knalltrauma“ einer Verkäuferin, für das er sich ausdrücklich entschuldigte, gelang ihm das auch.

Auch in „Dagoberts Enkel“ geht es um Erpressung per Bombendrohungen. Doch im Unterschied zum „wahren Dagobert“ kommt hier eine Person zu Tode. Weil im April 2000 darüber entschieden wird, ob Funke, der derzeit im offenen Vollzug ist, nach Verbüßung von zwei Dritteln der Haftstrafe vorzeitig entlassen wird, befürchtet Anwalt Schertz durch den „Tatort“ eine „unfaire Diskussion“ darüber, „warum so jemand wie der im Film Dargestellte“ vorzeitig entlassen wird, obwohl dies bekanntermaßen der Regelfall ist. Der hierdurch hervorgerufene „Volkszorn“ stelle deshalb eine „Gefährdung der Resozialisierung“ seines Mandanten dar. „Zur reinen Unterhaltung werden seine Persönlichkeitsrechte verletzt“. Das Publikum könne die Vermischung von Realität und Fiktion nicht nachvollziehen.

Der Presserechtler stützt sich in seiner Argumentation auf Urteile des Oberlandesgerichts Koblenz und des Saarländischen Oberlandesgerichts im sogenannten Lebach-Fall. 1969 hatten drei junge Männer ein Munitionsdepot der Bundeswehr im saarländischen Lebach überfallen und dabei vier Wachsoldaten im Schlaf erschossen. Sat.1 hatte 1997 vergeblich versucht, das Ausstrahlungsverbot aufzuheben, das der Kläger und damalige mehrfache Mörder bereits ein Jahr zuvor erwirkt hatte. Beide Gerichte teilten die Auffassung, daß eine Berichterstattung über eine schwere Straftat unzulässig ist, wenn sie die Resozialisierung des Täters gefährdet.

Der SFB indes gibt sich gelassen. Obwohl Justitiar Magnus Schiebe gegenüber der taz einräumte, daß der Film „irgendwo Funkes Geschichte ist“, weist er den Vorwurf von Anwalt Schertz zurück. „Einerseits macht Funke eine Verletzung von Persönlichkeitsrechten geltend, aber gleichzeitig tut er alles, sie zu vermarkten“, behauptet er und bezieht sich dabei auf Funkes Buch „Mein Leben als Dagobert“, in dem dieser sich öffentlich von seinen Taten distanziert hat. Doch er vergißt, daß das Honorar dafür nicht an Funke sondern an den geschädigten Karstadt-Konzern geht.

Anwalt Schertz wirft dem SFB vor, „ganz bewußt einen sehr populären Fall mit einem reißerischen Titel“ gewählt zu haben und die gegenwärtige Auseinandersetzung der Bild-Zeitung zugespielt zu haben. In einem Schreiben an das Landgericht Köln erläutert Schertz: „Eine derartige Berichterstattung steigert bekanntermaßen das Interesse an dem jeweiligen Film, so daß mit höheren Einschaltquoten zu rechnen ist.“

Das habe man nicht nötig, wehrt sich SFB-Pressesprecher Thomas Strätling. Das neue Komissarteam mit prominenten Schauspielern habe in den Medien ohnehin schon eine „sehr, sehr hohe“ Aufmerksamkeit genossen. Auch der zuständige SFB-Redakteur zeigt sich siegessicher. Obwohl in einer Infobroschüre zu „Dagoberts Enkel“ auf das „berühmte Vorbild“ verwiesen wird, meint Uwe Römhild, daß es sich „um einen ganz normalen Erpressungsfall“ handele. Den Vorwurf, daß die Gewalt in dem „Tatort“ Funkes Resozialisierung schade, weist er lakonisch zurück: „In dem Film wird gesagt, daß Dagobert so clever war, keinen umzubringen“. B. Bollwahn de Paez Casanova