Sinnbild Vernetzung

Bedeutungswandel: Das Projekt „Connected Cities“ entdeckt das Ruhrgebiet als Spiegelbild des Internet  ■   Von Thomas Machoczek

Rita kennt nur das Leben online. Ist sie vom Netz, ist sie eine einfache Puppe, die in einem Glaskasten sitzt. Ist sie eingeschaltet – in der Regel dann, wenn Besucher durch ihren abgedunkelten Raum im Duisburger Wilhelm-Lehmbruck-Museum streifen –, erwacht sie zum Leben. Ihre Augen beginnen zu sehen, verändern die Perspektive und übertragen die Bilder via Internet hinaus in alle Welt. Zu sehen sind dann die Besucher in Ritas Kämmerlein, aber auch die große Leinwand vor ihnen, die Bilder der Zeche Zollverein in Essen oder des Gelsenkirchener Hauptbahnhofs zeigt. Die Silhouette der Besucher, die eine weitere Kamera auf die Leinwand wirft, wird ausgefüllt mit Leiterbahnen aus Mikrochips oder dem Röhrengeflecht einer Industrielandschaft, abhängig wiederum davon, wie nah der Besucher an der Leinwand steht.

Wer Ritas Raum betritt, ist Beobachter und Versuchskaninchen zugleich. Fabian Wagmister und Lynn Hershman, die diese Installation geschaffen haben, verwischen damit spielerisch die Grenzen zwischen der Sicherheit von Überwachungssystemen und der drohenden totalitären Datenwelt. Er habe sich dabei an Argentinien erinnert, sagt Fabian Wagmister, der heute an der University of California lehrt. Aufgewachsen zur Zeit der Militärdiktatur, hat er miterlebt, wie auf jedem Platz Kameras standen, wie sich Nachbarn bespitzelten und wie ein Netz aus Kontrollmechanismen um jeden einzelnen gewoben wurde. Nicht um Verteufelung der digitalen Medien geht es ihm, sondern um deren nicht hinterfragten, oft vom Gesetz der Machbarkeit geleiteten Einsatz.

„Connected Cities“ heißt die Ausstellung im Duisburger Wilhelm-Lehmbruck-Museum, in der „Time & Time again“ von Hershman und Wagmister als ein Aspekt der multimedial vernetzten Welt zu sehen und zu erleben ist – und die gleichzeitig auch deren Ambivalenz widerspiegelt. So wie die Installation Bilder aus der Außenwelt einfängt, so will „Connected Cities“ die Dezentralität des Internet übertragen in die künstlerische Wirklichkeit und tut dies, indem sie zwölf Künstlergruppen über acht Orte im ganzen Ruhrgebiet verteilt. Schwebende Steine und schwingende Stahlwände von Michael Saup findet man beispielsweise in der Lindenbrauerei in Unna; in der Waschkaue des Bergwerks Ewald/Schlägel & Eisen nutzen Paul Sermon und Andrea Zapp einen Vorhang aus Wasser als Projektionsfläche für interaktive Bilder. In einem Turm am Duisburger Binnenhafen werden im Garten der Erinnerung die Bilder der ausgehenden Industriezeit heraufbeschworen.

„Das Museum muß Laborcharakter erhalten“, fordert Projektleiterin Söke Dinkla. Nur so lasse sich einer vernetzten Welt gerecht werden. Im Falle der „Connected Cities“ habe es denn auch ein Jahr gedauert, um aus Workshops und Besichtigungen vor Ort konkrete Projekte entstehen zu lassen. Das Ergebnis fügt sich dafür überraschend angenehm in die großangelegten Ausstellungen, die in diesem Jahr das Ruhrgebiet als postindustrielle Erlebnislandschaft überziehen: das Finale der Internationalen Bauausstellung Emscher Park, Christo und Jeanne-Claude im Oberhausener Gasometer, „Sonne, Mond und Sterne“ auf der Kokerei Zollverein. Die „Connected Cities“ selbst sind ein Kind der Förderung durch die Kultur Ruhr GmbH, der kulturelle Arm der IBA.

Politisch ist der Flächengedanke der Ausstellung durchaus von Belang, erfuhren die Kommunen entlang der Ruhr doch jüngst erst wieder, daß der Mehrheit in Düsseldorf an einer starken, zentral verwalteten Region Ruhrgebiet nicht gelegen ist – was wiederum dem Kirchturmdenken der dominierenden lokalen Sozialdemokratie entspricht. Da mag es aufklärend sein, vor Augen zu führen, wie wenig Wirkungsmacht die Grenze zwischen Oberhausen und Bottrop, an der Kommunen und Verwaltungsbezirke aneinanderstoßen, in der Datenwelt besitzt. Die Ausstellungsmacher der „Connected Cities“ sehen in der dezentralen Struktur des Ruhrgebiets, die sich nicht mit Paris und Berlin und ihren Zentren vergleichen läßt, sogar „das perfekte urbane Spiegelbild des digitalen Netzes“. Daß aber auch dies zu kurz greift, weil digitale Netze längst jegliche räumliche Struktur auflösen, beweist Paul Garrin mit seiner Installation, die immer neue Bilder von Webcams aus Belgrad, Los Angeles und Jerusalem ins Lehmbruck-Museum überträgt.

Technisch ist auch dies längst ein alter Hut. Und auch der im Katalog heraufbeschworene Anspruch, daß „zeitgenössische KünstlerInnen erneut die Museen verlassen und sich in soziale, ökonomische und städtische Kontexte einmischen“, verliert sich bei der Umsetzung der „Connected Cities“ irgendwo in den weiten Maschen dieses künstlerischen Gefüges. Wird bei Wagmister/Hershman oder Garrin der Überwachungscharakter in den Vordergrund gestellt, so dominiert bei anderen das Spiel mit Technik und deren faszinierenden Möglichkeiten in einer bizarren Umgebung. Und da, wo Kameras öffentlich zu sehen sind – wie am Hauptbahnhof –, fallen sie, weil längst akzeptiert, als Kunst nicht auf.

„I0_dencies Ruhrgebiet“, ein Projekt der Gruppe Knowbotic Research, macht sich in diesem Kontext allein auf die Suche nach gänzlich neuen Einflußmöglichkeiten im gesellschaftlichen Kontext. Der Begriff „Stadt“, so wird festgestellt, reicht zur Beschreibung moderner politischer und infrastruktureller Gefüge nicht mehr aus, „Orte“ werden simple „Knoten im Netz“. Neue Definitionen sind daher gefragt. Die Diskussion darüber wird von „I0_dencies Ruhrgebiet“ im Internet angeregt (http://io.khm.de/ruhrgebiet) und künstlerisch im Museum zu einem höchst abstrakten, plasmagleichen Fluß von Datenströmen umgesetzt.

Auch wenn dies den Gedanken- und Informationsaustausch zwischen Mailand, Paderborn und Teilnehmern aus aller Welt symbolisiert – eine Steuerung gesellschaftlicher Prozesse per Internet hält Christian Hübler, einer der Schöpfer des Projekts, noch nicht für möglich. Nach wie vor bedürfe es öffentlicher Vorträge, der Presse und, nicht zuletzt, des sinnlichen Erlebens.

Die Projekte der „Connected Cities“ sind noch bis zum 1. August an den verschiedenen Ausstellungsorten zu sehen; im Internet findet man sie unter www.connected-cities.de . Katalog, 240 Seiten mit Abb. u. Texten u. a. von Rem Koolhaas, Toyo Ito, und Reinhard Wolf, 39 DM