Trophäen, die vom letzten großen Sieg zeugen

■ Im „Beutekunst“-Streit sind das Bernsteinzimmer und das Troja-Gold nur die Filetstücke. Deutschland beansprucht 200.000 nach 1945 in die UdSSR verschleppte Kunstobjekte

Als „glänzendstes Goldstück aller Schätze des Zarenpalastes“ bezeichnet Larissa Valentinowa das Bernsteinzimmer. Allerdings strahlt der Schatz erst zu einem geringen Teil. Valentinowa, für den Wiederaufbau des Bernsteinzimmers im heutigen Museum von Jekatarinburg zuständige Direktorin, hat einfach kein Geld, um den teuren Rohstoff und die Spezialisten zu bezahlen. So bleibt ihr im Moment nur, vom Glanz des Originals zu schwärmen. Das hatte die Wehrmacht 1942 vom Zarenpalast ins Königsberger Schloß abtransportiert. Als die Rote Armee näher rückte, verpackten Spezialisten die kostbaren Paneele erneut. Seitdem fehlt jede Spur.

Was den Russen das Bernsteinzimmer, ist den Deutschen „ihr“ Troja-Gold. Der Altertumsforscher Heinrich Schliemann hatte den „Schatz des Priamos“ 1873 bei seinen Ausgrabungen in Troja gefunden und auf abenteuerliche Weise nach Deutschland gebracht. Kurz vor seinem Tod übereignete er seine Funde in patetischer Pose „dem Deutschen Volke auf Dauer“. Auch der Schatz des Priamos blieb jahrzehntelang verschollen. Bis 1994: Die Moskauer Museumsdirektorin Irina Antonowa gab zu, das Gold in ihrem Depot zu verwahren. Eine Trophäenkommission der Roten Armee – zu einer solchen gehörte auch Antonowa – hatte nach Kriegsende Schliemanns Grabungserfolg abtransportiert. Ertsmals 1996 zeigte das Puschkin-Museum die Funde.

Bernsteinzimmer und Troja-Gold sind nur die Paradestücke im „Beutekunst“-Streit. Die kriegsbedingten Verluste an russischen Kulturgütern sind noch nicht vollständig dokumentiert. Schätzungen gehen von bis zu 750.000 verlorengegangenen Objekten aus. Deutschland beansprucht 200.000 Kunstobjekte, die die sowjetischen Trophäenjäger nach dem Krieg aus ihrer Besatzungszone raubten. Hinzu kommen etwa zwei Millionen wertvolle Bücher und drei Kilometer Archivmaterial. Rechtlich beziehen sich beide Seiten auf die Haager Landkriegsordnung von 1907. Sie verbietet ausdrücklich die Vernichtung und Plünderung von Kulturgütern.

Freilich hielten sich weder Deutsche noch Sowjets an den Vertrag. Hitlers „Einsatzstab Rosenberg“ war seit 1941 auch in der Sowjetunion unterwegs, um Museen und Galerien zu plündern. Mit dem Diebesgut wurden in Berlin Ausstellungen veranstaltet. Hitler selbst plante ein „Trophäenmuseum des Tausendjährigen Reiches“ in Linz, vollgestopft mit geraubten Werken aus dem besetzten Europa. Etwa 22.000 Kunstgegenstände raubten die Deutschen in Frankreich. Aus den Niederlanden stammten 3.000 Werke holländischer Meister des 16. und 17. Jahrhunderts. Hitlers oberster Kunsträuber Alfred Rosenberg rapportierte am 17. Oktober 1944 der Reichskanzlei, für den Transport der beschlagnahmten Kulturgüter Sowjetrußlands seien 1.418 Eisenbahnwaggons nötig gewesen.

Einige dieser Kunstgüter – die, die sie in ihrer Besatzungszone fanden – brachten die sowjetischen Trophäenkommissionen nach Kriegsende zurück. Darüber hinaus plünderten die Sowjets deutsche Museen. So wurden beispielsweise auf Stalins Befehl vom 26. Juni 1945 die 2.000 wertvollsten Werke der Dresdner Gemäldegalerie nach Moskau abtransportiert. Stalin seinerseits plante hier ein Trophäenmuseum. Nach seinen Vorstellungen sollte es nicht nur das größte Museum der Sowjetunion werden. Sein Projekt sollte die Galerien der Welt in den Schatten stellen. Nach der Schlacht um Stalingrad beauftragte Stalin Sergej Merkurov, Direktor des Puschkin-Museums in Moskau, mit den Planungen.

Nach dem Krieg konnten sich die Sowjets den protzigen Bau nicht leisten, die Pläne wurden auf Eis gelegt. Zwischen 1955 und 1958 kamen Hunderttausende Kunstgegenstände in die DDR zurück. Nicht ganz freiwillig: Nach der Zerschlagung des Volksaufstandes in Ungarn 1956 war das außenpolitische Gesicht der UdSSR stark lädiert. Die Rückgabe sollte zu neuer Anerkennung verhelfen.

Heute geht es im „Beutekunst“-Streit vor allem um alte Wunden. Deutschland und Rußland beklagen die noch nicht zurückgegebenen Werke als sehr wichtig für die kulturelle Identität des jeweiligen Volkes. Die meisten russischen Verluste dürften unwiederbringlich sein. Deshalb betrachten die Hardliner um Irina Antonowa ihre „Beutekunst“ als Reparation. Und schließlich sind diese Trophäen die letzten, die vom großen Sieg der einstigen Weltmacht zeugen.

Es geht im „Beutekunst“-Streit aber auch um sehr viel Geld. Irina Antonowa bot den zehn bedeutendsten Zeitschriften der Welt die exlusiven Fotorechte für die „Priamos-Ausstellung“ für 750.000 Dollar an. Im Kampf um die deutschen Fotorechte hatte der Stern die Nase vorn. Kostenpunkt: 100.000 Mark. Das ZDF zahlte 150.000 US-Dollar für eine Drehgenehmigung. Nick Reimer