■ Die „deutschen“ Renoirs, Cranachs und Rembrandts sowie der „Schatz des Priamos“ bleiben wohl endgültig im Besitz Rußlands. Gestern befand das Verfassungsgericht in Moskau, die 1945 aus Deutschland verschleppten Kulturgüter seien als Reparation zu betrachten
: „Beutekunst“: The winner takes it all

Die längste parlamentarische Seifenoper in der Geschichte der neuen russischen Duma fand gestern ihr vorläufiges Ende mit dem Urteil des Verfassungsgerichtes der russischen Föderation zum „Beutekunst“-Gesetz. Über vier Jahre hat sich das Dauergefecht zwischen Boris Jelzin und dem Parlament hingezogen. Dabei hatten beide Seiten sämtliche juristischen und nichtjuristischen Register gezogen.

Nun steht es fest: Rein formal hat der Präsident in diesem Streit Recht bekommen, weil er an dem Duma-Gesetz über „Beutekunst“ vor allem bemängelte, daß es alle über einen Kamm schor: einmal den heutigen russischen Staat als Rechtsnachfolger der UdSSR; Privateigentümer, denen Kunstwerke geraubt wurden oder die heute geraubte Kunstwerke besitzen; und last not least die Opfer des Holocaust, wie zum Beispiel jene ungarisch-jüdischen Familien, deren Kunstschätze erst von den Nazis geklaut wurden und kurz darauf von den Russen. Solche Kreise sollen weiterhin das Recht behalten, die ihnen entwendeten Kunstwerke auf dem Gerichtswege zurückzuerstreiten.

Dennoch ist das Urteil für Boris Jelzin eine politische Niederlage. Schließlich werden ausnahmslos alle aus den „Aggressoren-Staaten“ (d. h. aus Deutschland und den mit ihm verbündeten Staaten) entwendeten Kunstwerke für alle Zeiten als Eigentum der Russischen Föderation anerkannt. Auch in der nun vom Verfassungsgericht gebilligten Form ist und bleibt dieses Gesetz ein Zankapfel zwischen dem russischen Staat und vielen westlichen Regierungen, vor allem der deutschen. Die könnte es sich nun zweimal und dreimal überlegen, ob sie bei den im nächsten Jahr fälligen Präsidentenwahlen den einen oder anderen von Boris Jelzin unterstützten Lieblingsnachfolger unterstützt.

Die genaue Bezeichnung des umstrittenen Gesetzeswerkes lautet: „Über Kulturgüter, die in Folge des Zweiten Weltkrieges in die UdSSR überführt wurden und sich auf dem Territorium der Russischen Föderation befinden“. Die meisten der von diesem Gesetz betroffenen Kunstwerke galten über 30 Jahre lang als verschollen. Erst nach der Auflösung der Sowjetunion lüftete sich langsam der Nebelvorhang über dem Verbleib der Kunstwerke. Mehrere große Ausstellungen, unter anderem im Moskauer Puschkin-Museum und der St. Petersburger Eremitage machten die bisher als verschollen erklärten Kunstwerke der Allgemeinheit zugänglich. Gleichzeitig kam es zu ersten Vereinbarungen über deren weiteren Verbleib zwischen den betroffenen Staaten.

Die gegenseitige Rückgabe solcher Kunstschätze sah erstmals der Freundschaftsvertrag zwischen der Sowjetunion und dem vereinigten Deutschland vom November 1990 vor. Erste konkrete Schritte in diese Richtung ermöglichte die Vereinbarung über den Austausch von Verlustlisten auf der ersten Sitzung der inzwischen gegründeten gemeinsamen Kommission zur beiderseitigen Rückführung von Kulturgütern im März 1994 in Moskau. Die deutsche Position ist seit damals unverändert geblieben: Wer das völkerrechtliche Verbot von Kulturplünderungen in Kriegszeiten ernst nimmt, muß nicht lange begründen, daß „Gegenseitigkeit“ oder „Symmetrie“ nichts anderes bedeutet als die Verpflichtung jedes Staates, kriegsbedingt verlagerte Kulturgüter zurückzugeben.

Parallel zu dieser Versöhnungspolitik begann die russische Duma mit ihren seit gestern von Erfolg gekrönten Bemühungen, die Rückgabe der im Krieg entführten Kulturgüter zu stoppen. Zweimal scheiterte das nunmehr im Prinzip vom Verfassungsgericht gebilligte Gesetz: zum ersten Mal am Veto des Föderationsrates im Juli 1996, zum zweiten Mal am Veto des Präsidenten im März 1997.

Mit dem eigenen Triumph nicht ganz zufrieden zeigte sich aber auch der Duma-Vertreter vor dem Verfassungsgericht, Ex-Kulturminister Nikolaj Gubenko, Mitglied der kommunistischen Fraktion. Während er die Entscheidung des Gerichtes im Hinblick auf die ehemaligen Feinde der Sowjetunion durchaus billigte, konnte er sich mit gewissen im Urteil enthaltenen Sätzen über die ehemaligen Verbündeten und sogenannten „interessierten Staaten“ nicht abfinden. Gemeint sind damit etwa die USA, England und Frankreich. „Bis heute haben wir von dieser Seite nicht eine einzige Geste des guten Willens gesehen“, sagte er.

Zur Sicherheit hatten die juristischen Vertreter des Präsidenten die Verabschiedung des Gesetzes im Parlament auch rein verfahrensrechtlich angefochten. Einer von ihnen, Michajl Mitjukow, legte dem Gericht dar, daß die Duma bei der letzten Abstimmung über das „Beutekunstgesetz“ Jelzins Veto offiziell mit einer Zweidrittelmehrheit von 308 Stimmen überwandt. Tatsächlich seien aber nur etwa 100 Abgeordnete anwesend gewesen und hätten für ihre Kollegen die Abstimmungsknöpfe mitgedrückt. Gestern gab das Verfassungsgericht der Russischen Föderation zu, daß die Abstimmungsprozedur fehlerhaft gewesen sei. Dieser Grund reiche aber nicht aus, um das Gesetz selbst als nicht verfassungsgemäß zu bezeichnen. Das Gericht konnte wohl kaum anders entscheiden. Hätte es sich dem Argument des Präsidenten gebeugt, hätte es in der Folge so ziemlich alle bisher verabschiedeten Gesetze für ungültig erklären müssen.

Barbara Kerneck, Moskau