Ein Platz für glückliche Vögel

Die taz hamburg macht Ausflüge in Hamburgs Naturschutzgebiete. Zu Beginn geht es in den Duvenstedter Brook und den Wohldorfer Wald im Norden der Stadt  ■ Von Gernot Knödler

Direkt neben Werner Schulz steht ein Fuchs. Während der Kunstmaler aus Finkenwerder mit dem Küchenmesser kleine Bodenerhöhungen aus Styropor zurechtschneidet, schaut das kleine Raubtier unverwandt und unbewegt in Richtung Fenster. Was sollte der Fuchs auch anderes tun, schließlich ist er bloß lebensechtes Teil eines Dioramas vom Duvenstedter Brook, das Schulz im Informations-Zentrum von Hamburgs wohl bekanntestem Naturschutzgebiet aufbaut. Einen besseren Überblick über das, was der Duvenstedter Brook alles zu bieten hat, gibt es nirgendwo sonst: Reiher und Kraniche, Moor und Bruchwald, Frösche und Kröten, Dam- und Rothirsche.

Kommt der Gast zuerst ins Infozentrum, freut sich das Naturschutzamt drüber. Die Besucher werden eingestimmt auf Sumpfcalla, Schellente und Seeadler. Sie erfahren vorab, worauf es sich zu achten lohnt und warum es wichtig ist, gewisse Verhaltensregeln einzuhalten: zum Beispiel keine Hunde mitnehmen, um Bodenbrüter nicht aufzuschrecken, keine Pilze sammeln, nicht zelten. MitarbeiterInnen des Naturschutzbundes Nabu, des Botanischen Vereins, der Naturwacht und des BUND, die das Gebiet betreuen, halten hier Dia-Vorträge über Insekten und Wasserlebewesen. Auch die meisten ihrer Führungen durch den Duvenstedter Brook und das benachbarte Naturschutzgebiet Wohldorfer Wald beginnen hier.

Im Infozentrum läßt sich per Mikroskop das feine Geäder von Insektenflügeln erleben. Ein Aquarium zeigt den Querschnitt eines Teichrandes mit Wasserpflanzen und Amphibien und für Mutige steht eine Fühlkiste neben den Mikroskopen: ein Kasten mit einem Loch an der Seite, durch das man die Hand stecken muß, um die unterschiedlichen Zapfen verschiedener Nadelbäume zu identifizieren. Aber wer weiß schon, ob da nicht gerade heute krabbelige Käfer zu ertasten sind.

Aus praktischen Gründen empfehlen wir, den Tagesausflug zum Duvenstedter Brook trotzdem nicht im Infozentrum zu beginnen, sondern in Ohlstedt. Dort endet die U-Bahn-Linie eins, dort gibt es Bier und Eis, und außerdem sind es von hier aus nur wenige hundert Meter bis zum Wohldorfer Wald, der jedoch nur zur Hälfte Naturschutzgebiet ist. Ein alter Pflasterweg, der Kupferredder, führt quer durch den Forst zum Duvenstedter Brook.

Die lästige Anreise in den hohen Norden Hamburgs wird auf diesem Weg bereits zur Erholung. Hohe Buchen und Eichen überschatten den Weg. Die Buchen wachsen schneller, ihre Kronen füllen jeglichen Freiraum, so daß die Eichen ohne Zutun des Menschen auf Dauer keine Chance hätten. Links und rechts des Weges sind zuweilen Fetzen von dunkelgrünen Erlenbrüchen zu sehen, die Fluß- und Bachläufe säumen. An der Försterei steht ein Flecken Nadelwald.

Der Wohldorfer Wald ist kein Urwald und soll nach den Vorstellungen der zuständigen Umweltbehörde auch keiner werden. „Das würde Hunderte von Jahren dauern“, sagt Andreas Eggers vom Naturschutzamt der Behörde. Statt dessen wird der Wald naturnah bewirtschaftet. Der vor wenigen Wochen tödlich verunglückte Förster Wolfgang Koopmann schaffte den schönsten und gesündesten Bäumen die besten Wachstumsbedingungen. Er sägte ihnen Platz frei und hielt ihnen das Wild von der Borke.

Immer wieder sind Haufen heruntergebrochener Äste und Zweige auf dem Waldboden zu sehen. Hier finden die Sämlinge neuer Laubbäume natürliche Deckung, sowohl vor der Naschhaftigkeit der Rehe als auch vor dem kalten Wind. Bei manchen der alten Buchen am Rande des Kupferredders verzichtete der Förster auf Zehntausende von Mark: Statt sie zu fällen und zu verkaufen, schnitten seine Waldarbeiter bloß ihre Krone und die Äste ab. Der 20 Meter hohe Stamm blieb stehen – zur gefälligen Besiedlung durch Spechte und Insekten. An manchen Bäumen links des Weges hängen trotzdem Nistkästen. „Da hat sich 'mal wieder einer selbstverwirklicht“, sagt Eggers sarkastisch.

Doch die Leute dürfen das, weil ein großes Stück vom Wald links des Weges nicht zum Naturschutzgebiet erklärt worden ist. Der Senat habe die Nutzung dieses Gebiets nicht ganz so rigide einschränken wollen, wie bei der östlichen Hälfte, sagt Eggers. So braucht ein Naturfreund im Westen bloß das Okay des Försters, wenn er einen Nistkasten an den Baum pinnen will. Im geschützten Teil wäre eine aufwendige Genehmigung nötig. Trotzdem sieht der Wald links des Weges auch nicht anders aus als der rechts des Weges. Und ein Stück davon abzuknapsen ist wegen des Landeswaldgesetzes fast so schwer, wie ein Grundstück aus dem Naturschutzgebiet zu schneiden, wie Eggers versichert.

Aber auch auf der Ostseite hängen Kästen an den Bäumen. An einer Buche direkt neben dem Kupferredder klebt zum Beispiel eine Art Briefkasten für Fledermäuse – eine flache, rechteckige Betonschachtel, in die sich die Insektenfresser zum Schlafen hängen. Kot am Fuße der Buche, weiß wie von Vögeln, zeigt, daß der Kasten bewohnt ist.

Der Kupferredder führt zum malerischen Kupferteich, wo die Ammersbek aufgestaut wurde. Gelassen mustern Singschwäne die glatte Oberfläche mit ihrem Kielwasser. Des Ornithologen Herz hüpft, denn die grazilen Wasservögel mit dem markanten gelbschwarzen Schnabel sind eigentlich in Skandinavien zu Hause.

An einem schmalen Geländestreifen hart östlich der Wohldorfer Landarbeiterhäuser stoßen die Naturschutzgebiete Wohldorfer Wald und Duvenstedter Brook direkt aufeinander. Der Duvenstedter Brook beginnt schon in den Gärten der Fachwerkhäuslein. Um Konflikten um winzige Parzellen aus dem Weg zu gehen, schaut das Naturschutzamt nicht allzugenau hin. Der dahinter liegende Acker ist allerdings von einem Maisfeld in eine Weide für schwarzbunte Öko-Rinder verwandelt worden.

Ein Weg durch die Wiesen führt zum Infozentrum wenig außerhalb von Wohldorf am Duvenstedter Triftweg. Von dort aus erschließt ein grobmaschiges Netz von Wanderwegen das Naturschutzgebiet. Ein Teil von ihnen ist vom 1. September bis zum 20. Oktober von 16 bis acht Uhr morgens gesperrt. Dann röhren auf den Lichtungen die Hirsche um die Wette, unter ihnen die größten Kerle in ganz Norddeutschland. Mit machomäßigem Imponiergehabe versuchen sie sich gegenseitig vom Brunftplatz zu vertreiben. Der Hirsch, der die beste Show geboten hat, darf sich fortpflanzen, sofern er sich nicht zu sehr verausgabt hat. Von getarnten Beobachtungsständen aus läßt sich das Schauspiel beobachten.

Nur wenige Meter vom Besucherzentrum enfernt stehen Birken in sumpfigem Gelände. Einige sind umgestürzt und abgeknickt – ein „Bruch“, wie Hochdeutsche sagen würden, oder auf Platt eben Duvenstedter „Brook“. Wasserlinsen schwimmen auf dem Teich im Vordergrund. An seinem Rand wächst die Sumpfcalla mit weißen Blütentüten. Dahinter ragt eine alte Eiche in den Himmel. „Massig Totholz“, freut sich der Biologe Eggers, „da tobt das Leben!“ In die alte Eiche hat ein Schwarzspecht eine Höhle gehackt. Jetzt brütet eine Schellente darin.

An anderer Stelle hat das Naturschutzamt nach Kräften dafür gesorgt, daß das Leben tobt. Mehr als 50 Teiche seien bis 1993 geschaffen worden, erzählt Eggers beim Spaziergang am Waldrand. Die Zahl der Frösche, Molche und Kröten habe sich daraufhin verzehnfacht.

Das freut die Graureiher, die im Duvenstedter Brook brüten und deren Jungen nie genug zu fressen kriegen können. Und es freut ihre Kollegen, die sich mit einem schwer zu beschreibenden Schreien hinter den Bäumen bemerkbar machen, das irgendwie nach tro tri tro klingt: die Kraniche. Vier bis sechs Paare der in Deutschland selten gewordenen Vögel brüten von März bis Juli an verschiedenen Stellen im Schutzgebiet. Im Infozentrum lieg deshalb ein „Lufthansa-Report“ über das Wappentier der Fluglinie aus: „Kraniche – die Vögel des Glücks“.