In Familie Richies heiler Schmusewelt

■ Der Publikumszuspruch so lau wie der Abend: Lionel Richie, Echt, Emilia und Familie Zottel schnulzten im Weserstadion für Unicef / Die 240.000-Mark-Spende hätte der „Hauptsponsor“ – Bremen – direkt überweisen können

Four in one, vier in einem – das ist ein Schema, das sonst nur für die Shampooindustrie aufgeht. Nun aber zog die Musik- und Wohltätigkeitsbranche mit dem Unicef-Sommer-Open-Air '99 nach und brachte in einem Abwasch, wofür sonst vier Gänge angesetzt werden müßten: Schrubbeliges Gitarrenspiel, seifigen Pop und zotteligen Folk. Hinzu Mister „Endless Love“, und – Zauberei – daraus wurde doch tatsächlich ein schaumatisch-schöner Abend.

Warum sollten sich schließlich nicht auch mal die Flensburger Jungs von ECHT, Emilia, die Kelly-Family und Lionel Richie publikumswirksam eine Bühne teilen? Vielleicht deshalb nicht, weil die logistischen Anforderungen einfach zu groß werden, da die einen vor dem Hauptact lieber nach Hause, die anderen lieber noch bleiben wollen. Ergebnis: Mehr verlorene Kinder im Stadion als im Advent an der Sammelkasse – und Eltern, die nach drei Teenie-Gruppen so geschafft sind wie ihre schlummernden Kids.

Die Besucherzahl jedenfalls war so lau wie die Nacht. 26.000 ZuschauerInnen kamen zu diesem Familienfest zugunsten der Kinder des Kosovo in das Weserstadion. Zehn Mark von jeder Karte sollten an Hilfsprojekte fließen. Nur hatten die Veranstalter wohl eines nicht ganz richtig bedacht: Der Zweck heiligt nicht nur, sondern braucht auch erst einmal die Mittel. Und dieses Line-up war keines. Ein kurzfristiger Andrang an den Abendkassen blieb erwartungsgemäß aus. Mehrheitlich waren deshalb Glückspilze und deren Ableger da. Eingeladen von zahlungskräftigen Sponsoren, beschenkt von Radiostationen und Online-Artisten, die so die Nächstenliebe zu einem komfortablen Vergnügen machten. 10.000 Karten hatte nämlich allein der offizielle Hauptsponsor aufgekauft, 4.000 weitere waren so vergeben worden.

Wie gern ließ man sich aber hinreißen von ECHT echten Illusionen und dem Refrain „Alles wird sich ändern, wenn wir groß sind“. Die vier Musiker um Sänger Flo machten in Bremen den Auftakt, sangen sich so hübsch liebesleidend von Herz zu Schmerz („Weinst Du oder ist das der Regen ...“), daß die Kleinen sich schworen, einmal so cool zu werden.

ECHTs „Wünsch Dich nicht fort von mir“ klang noch nach, als im fliegenden Wechsel Shootingstar Emilia im Tour-de-France-Outfit (weißer Catsuit, neonrotes Bolero-Jäckchen) auflief. „Das kann nicht lange dauern, die hat ja nur zwei Hits“, informierte die Sitznachbarin, und mit einem Kleinmädchen-„Thank You“ bedankte sich die 20jährige Schwedin auch schon freundlich für den Applaus für ihre sechs Songs, bevor der Ich-bin-so-hilflos-Doppelplatin-Hit „Big, Big World“ angestimmt wurde. Zuckrig süß war das, aber eben auch keine große Sache.

Entgegengefiebert hatten die meisten Fans ohnehin den Kellys, mit Maite & Paddy und Tim & Struppi – oder wie die alle heißen. Jedenfalls waren es acht und nichts dran an dem Gerücht, daß die muffelig riechen. Einer hatte extra einen Schottenrock an und bestimmt nichts drunter, weil alles im wunderbaren Waschsalon ist. Putzig anzusehen auch der jüngste Sproß mit einer Art Barbie-Lied und einem Mikro, so hoch eingestellt, daß man darunter hätte duschen können. Im Pluderhosen-Potpourri kam dann jeder mit einem Solo zum Zuge. Verschonen sollten sie die Nicht-Fans freundlicherweise mit Abrutschern ins Schlagergenre.

Weil sonst schon kaum ein Satz zur Unicef-Aktion (Schirmherr übrigens Bundeskanzler Gerhard Schröder) gesagt wurde, kam das Abschluß-Lied „Children of Kosovo“ fast so unvermittelt daher wie das Highlight des Abends. Lionel Richie nämlich startete nach längerer Umbaupause sein „Hello, is it me you're looking for“ unfreiwillig komisch direkt nach einem Suchaufruf für einen Hundehalter, der Bello fünf Stunden im Auto hatte sitzen lassen.

Kuschelig sang der Amerikaner auf seinem einzigen Deutschlandkonzert in diesem Jahr einen Klassiker nach dem anderen, und verschüchtert kamen dann noch zwei Prominente durch den Hintereingang: Howie und Kevin von den Backstreet Boys, die für all die Urlaubshungrigen ein tolles „Easy like Sunday Morning“ mitbrachten. Weil sich das Wetter tapfer hielt, strömten die Zuschauer in den Innenraum, zündeten Feuerzeuge an und genossen eine geballte Ladung heiler Schmuse-Welt und einen permanent strahlenden Lionel Löwenherz. Daß alles mit so schnarchnasigen Tempi daherkam, sei entschuldigt: Schlafende Kinder wurden zumindest nicht quengelig bei dem verträumten Spieluhrenpop.

Schade nur, daß nicht mehr Leute zu dieser lauschigen „Siesta forever“ da waren, deren großes Finale mit einem Auftritt aller Künstler endete, die gemeinsam mit einer multi-kulturellen Kindergarten-Nachtgruppe – na, was wohl? – „We are the World“ sangen. Unterm Strich blieben übrigens 240.000 Mark für die Kinder im Kosovo. Aber das Geld hätte der eigentliche Hauptsponsor, die Stadt Bremen, auch gleich direkt spenden können.

Beate Bößl