Kraft nur aus der Glukoseflasche?

Ein Mangel an Bergen bei der 86. Tour de France begünstigt Spitzenreiter Lance Armstrong, der sich weiter mit Dopinggerüchten auseinandersetzen muß  ■   Von Matti Lieske

Berlin (taz) – Es ist schon eine Crux mit dieser 86. Tour de France. Da hat der Direktor des Unternehmens, Jean-Marie Leblanc, ganz entgegen seiner alten Gewohnheit den Kurs in diesem Jahr sehr viel leichter gestaltet, um dem Vorwurf zu begegnen, daß nur gedopte Fahrer diese Strapazen aushalten könnten, und nun sorgt genau das für Ärger. Hätte es in diesem Jahr wie früher zwei oder gar drei brutale Bergetappen hintereinander gegeben, würde der US-Amerikaner Lance Armstrong der Konkurrenz vermutlich nicht so weit vorausfahren, wie er es auch nach der gestrigen 16. Etappe, die in Pau vom Spanier Etxebarria gewonnen wurde, weiterhin tut. An der Spitze läge dann womöglich Fernando Escartin aus Spanien, oder gar der Franzose Richard Virenque, und die vor allem in der französischen Presse beharrlich vorgebrachten Dopingvorwürfe gegen den Texaner wären inexistent.

Gestern schlug Le Monde zu. Die Zeitung erschien mit der Schlagzeile, daß Armstrong bei der ersten Etappe am 4. Juli Cortecoid im Urin gehabt habe, jene Substanz, die in diesem Jahr das Blutdopingmittel Epo aus dem Blickpunkt verdrängt hat. Cortecoide, die erst seit kurzer Zeit nachweisbar sind, lindern Schmerzen und werden wegen ihrer entzündungshemmenden Wirkung bei Sturzverletzungen angewendet. Da sie auch stimulieren können, stehen sie auf der Verbotsliste. Kann ein Fahrer jedoch per Attest nachweisen, daß er das Mittel aus medizinischen Gründen bekommen hat, ist die Sache legal.

Im Fall Armstrong war die Substanz in einer Salbe enthalten, mit der vor Beginn der Tour eine Leistenverletzung behandelt wurde. Offenbar lag eine Genehmigung vor. Andererseits hatte Armstrong zuvor jedwede Verwendung verbotener Mittel – auch mit Attest – bestritten. Laut Le Monde betrug sein Cortecoid-Wert 0,2, positiv wäre die Probe ab 6,0 gewesen. Die Zeitung gibt an, daß Proben von mehr als 30 Fahrern Cortecoid enthalten hätten, kein Fall wurde jedoch als Doping klassifiziert.

Am Dienstag in den Pyrenäen war es ein legales Mittel, ein vom Betreuer gereichtes Glukosegetränk, das den Mann im Gelben Trikot wenige Kilometer vor dem Ziel rettete. Hatte Armstrong zunächst alle Rivalen abgeschüttelt und war allein dem enteilten späteren Sieger Escartin nachgesetzt, machte er am Ende schlapp. Ähnliches war ihm schon bei der zweiten Alpenetappe nach L'Alpe d'Huez widerfahren. Zeichen für eine gewisse Anfälligkeit in den Bergen.

„Ich war nahe an einer Hungerkrise“, gab der 27jährige zu, nachdem er kurz vor dem Ziel noch von Zülle und Virenque überholt worden war. Der Franzose fiel gestern auf der letzten Gebirgsetappe mit den Anstiegen zum Tourmalet und Aubisque überraschenderweise zurück, Armstrong hingegen hielt wieder bestens mit. Auf den letzen 50 Kilometern ging es dann bloß noch bergab und seine Führung war nie in Gefahr.

Um den Spitzenreiter nun noch ernsthaft gefährden zu können, fehlen Escartin, der als Zweiter der Gesamtwertung 6:15 Minuten Rückstand hat, schlicht die Berge. Für alle Eventualitäten hat Lance Armstrong am Samstag ohnehin das Zeitfahren der vorletzten Etappe in Reserve, eine Disziplin, bei der er Escartin in Metz mehr als sechs Minuten abgenommen hatte. „Es ist eine schöne Idee“, sagt der Texaner über seinen potentiellen Toursieg, auch wenn er den Verdacht, daß er dafür doch mehr als nur Glukose eingesetzt hat, bis Paris wohl kaum noch loswerden wird.