Schatz, Mutter ist dran!

■ In Hu Binlius Film „Live In Peace“ bleibt für regelmäßigen Sex mit der Ehefrau neben Arbeit, Hausbau und Mutti keine Zeit

Arme Chinesen! Auch die stehen heutzutage mit ihrem Pick-up im Stau, das Baumaterial fürs Häuschen wird naß, und die Beifahrerin ist sowieso schon supernervös. Radfahrer sieht man traurigerweise kaum noch. Dafür gibt's häßliche Hochstraßen und dreckige Luft. Dann klingelt auch noch das Handy, und Mutter ist dran. Der Sohn soll sofort vorbeikommen, denn die neue Haushälterin (Nr. 3) ist soeben mit dem ihr anvertrauten Haushaltsgeld demissioniert.

Das neue China, flüstert uns „Live In Peace“ zu, produziert die gleichen sozialen Probleme wie der Westen. Der Zerfall der Großfamilie treibt – in unserem Fall – den Sohn in einen Konflikt zwischen Mutter, Ehefrau und Hausmädchen (obwohl er mit der gar nichts hat), der ihn nicht nur einige (in China bestimmt auch nicht ganz billige) Handytelefoneinheiten kostet. Die alte Dame Axi jedenfalls ist eine rechte Tyrannin. Die Schwiegertochter hat verspielt, weil sie nicht mit Sohnemann bei Muttern wohnen und Suppe schlürfen will. Die neue Haushälterin (Nr. 4) kocht zwar Axis Leibgerichte, die aber spuckt der geduldigen Shan schon in die Teller, wenn eine Prise Salz fehlt.

Die Frau gehört entmündigt und ins Altersheim, denkt man spätestens, als sie den übermüdeten Sohn telefonisch nötigt, ihr einen Livebericht ihrer Lieblings-TV-Soap von zu Hause durchzukabeln. Diese Mütter – ob in Delmenhorst oder der südchinesischen Industriestadt Guangzhou – überall gleich. Für regelmäßigen Sex mit der Ehefrau bleibt jedenfalls neben Arbeit, Hausbau und Mutti keine Zeit.

Trotzdem ist diese Familie in all ihren Spaltprodukten eigentlich schrecklich nett. Der klammheimliche Widerstand, den wir dagegen hegen, daß Filme aus ehemals exotischen Filmländern Storys haben, die ähnlich auch bei uns spielen könnten, wird nur teilweise unterminiert von Streifzügen über den örtlichen Markt mit seinen glitschigen Fischen und der pittoresk beengten Wohnung der alten Dame. Der politische Background bleibt ganz ausgeblendet. Kommunismus und kapitalistische Warenwelt koexistieren in „Live In Peace“ etwas zu friedfertig widerspruchslos.

Die alte Dame jedenfalls entwickelt unter ihrer ewigen Nörgelei versteckt fast zärtliche Bande zur neuen Haushälterin. Der wirft sie zwar immer noch vor, daß sie vom Land kommt, als die beiden dann aber einen Ausflug in die Heimat von Axi unternehmen – am Bahnhof sieht es auch nicht mehr aus wie früher, der Baum ist längst gefällt –, muß sie eingestehen, daß sie ebenfalls vom Dorf kommt.

Axi hat in ihrem Leben viele Liebhaber gehabt, einer davon ist inzwischen im Altersheim. Axi besucht ihn, und plötzlich kommt ihr dieser Ort heimeliger vor als ihre enge Küchenwohnung. Ein Happy-End für den Sohnemann bahnt sich also an.

Jetzt muß nur noch jemand den Stau auf der Straße auflösen.

Andreas Becker, Sohn

„Live in Peace“. Regie: Hu Bingliu. Mit Pan Yu, Bai Xueyun, Sun Min u.a. China 1997,100 Min.