Kein Herz aus Gold

■  Proletarische Frauen und schwule Männer: In Don Roos' Debüt „The Opposite of Sex“ sind sie Akrobaten des libertären Diskurses

Mit Christina Ricci hat das Kino ein interessantes neues Gesicht. Es ist kein feines Gesicht: rund wie der Mond und bleich wie ein Käse. Die Augen sind etwas zu groß geraten; wie Tümpel sitzen sie in der physiognomischen Landschaft. Mit ihren neunzehn Jahren gibt sie mühelos die frühreife Schlampe aus der abgerutschten Mittelschicht, ein material girl bis auf die Knochen. Wenn im Drehbuch vorgesehen, erscheint auf ihrer Stirn eine tiefe senkrechte Falte. In Ang Lees „The Icestorm“ brillierte sie als das Mädchen, das sich nimmt, wovon ihre progressiv befeuerten Eltern noch träumen. In der Hauptrolle von „The Opposite of Sex“, dieses Mal als Blondine, ist sehr viel mehr Verzweiflung im Spiel.

Der Film variiert ein bekanntes Motiv – die Verstrickung von Schicksalen – auf komödiantisch-radikale Weise. Dem Mädchen Dedee, das Ricci spielt, wird die Erzählerstimme gegeben, das lose Maul einer abgebrühten Teenagerin, die schon in ihrem ersten Monolog wissen läßt: „I will not grow a heart of gold.“ Der trotzige Vorsatz, daß jede Form tieferer menschlicher Regung ausgeschlossen sei, gilt bis zur letzten Szene, wenn sie mit ihrer Tasche wieder auf der Straße sitzt, an ihrer Filterzigarette zieht, die senkrechte Falte auf der Stirn erscheint und die Erzählerin plötzlich – brechtisch – der Kamera befiehlt, das Filmen zu stoppen.

Bis dahin ist eine haarsträubende Geschichte abgerollt, die sich liest wie der Versuch, fünf mißglückte Drehbücher über schlechte Eltern, frühe Schwangerschaft, aufgedunsene Lügen, Flucht, Verfolgung und gewaltsamen Tod in eines zu schreiben. „Sie ist eine menschliche Bild-Zeitung“, sagt eine Figur namens Lucia über Dedee, und in der Tat dient ihre skrupellos schlaue, aber eben doch verkürzte Sicht der Dinge als die treibende Kraft dieses Films.

Man ist immer wieder versucht, Partei zu nehmen für das scharfzüngige Mädchen. Oder für ihre scharfzüngige Gegenspielerin, jene Lucia, eine verbitterte Lehrerin in den 30ern, die alles weiß über Nöte und Zwänge absturzgefährdeter Prolomädchen, aber sich selbst eingeigelt hat mit ihrem Privileg der Unerreichbarkeit, sprich Frigidität. Sie klebt als fag hag an Bill, dem überlebenden Lover ihres verstorbenen Bruders: ein schräges Paar. „How does a woman get so bitter?“ wird sie einmal gefragt. Lucia: „Observation.“

Auf raffinierte Art werden zwei Perspektiven gegeneinander ausgespielt: die der unähnlichen Frauen mit ihren jeweiligen Hysterien und die der schwulen Männer. Bills Haus in seiner Pracht und Gediegenheit ist nämlich der Fixpunkt einer bürgerlichen Ordnung, die durch die hergelaufene Halbschwester –das ist Dedee – im Nu zur Disposition steht. Eine einleuchtende Theorie von Inversion: Schwule, die sich durchgesetzt haben, leben mit den Idealen und Reserven einer zivilen Gesellschaft, deren immer und immer wieder restauriertes Modell der suburbanen Kleinfamilie für bestimmte Frauen keine Zielvorstellung mehr bereitstellt. In dieser Sicht ähnelt „The Opposite of Sex“ den „Stadtgeschichten“ von Armistead Maupin. „Das Gegenteil von Sex“ (besser hätte ich gefunden: „Sex und sein Gegenteil“) meint nicht dessen Abwesenheit, sondern passionierte Liebe ohne die Mühen der Reproduktion. Denken die Frauen. Die Schwulen denken schon wieder an Kinder.

Wie den meisten unabhängigen Filmproduktionen sieht man auch dieser bisweilen den Sparzwang an. Manche Schwenks wären gut durch Close-ups ergänzt gewesen. Dem Licht fehlt es gelegentlich an Atmosphäre, und die Schauspieler sind zwar gut und ziemlich gut geführt, aber lassen eine gewisse ikonische Wucht vermissen. Das gilt natürlich nicht für Christina Ricci und schon gar nicht für Lyle Lovett in der Nebenrolle des verliebten Sheriffs: Diese sexy Unterwürfigkeit, das soll ihm erst einmal einer nachmachen.

Die Story, die Groschenroman getankt hat, wird dann aber dennoch zur großen Parabel ausgefahren, wobei Schicksal und Vernunft in eindringlicher Form antagonistisch vermessen werden. Dabei zeigen sich die Bürgerlichen als lernfähig – die grausamen Verwüstungen, deren Dedee fähig ist, wecken sämtliche Potentiale menschlicher Reflexion. Das Prolomädchen selbst aber bleibt das durchgeknallte Subjekt seiner hellsichtigen partikularen Einsicht: Deshalb darf sie die Geschichte erzählen, als jemand, der Schicksal spielt, aber selbst nicht weiß, wie man ihm etwas entgegensetzt.

Die satirische Qualität dieses Films ist nicht spezifisch visuell fundiert; sie beruht auf Situationen, Mimik und geschliffenen Dialogen. Deshalb muß man an Todd Solonsz' (leider nicht durchgedrungenen Film) „Happiness“ denken, der mit „The Opposite of Sex“ so sehr verwandt ist, daß man fast die Titel austauschen könnte. In der Psychologie sind die Ansätze jedoch konträr: Solonsz' Figuren lassen einen nicht los, obwohl sie offensichtlich nicht ganz dicht sind – unter den Masken lauern die Perversionen. Letztlich bleiben alle Stotterer. Roos' Figuren dagegen sind Akrobaten des libertären Diskurses. In der Lewinsky-Gesellschaft darf man alles sagen.

Die bittere Satire über die fundamentalen Rechte wird von Roos mit seinem Regiedebüt genauso locker abgefahren wie die Karikatur einer Gesellschaft, deren junge Erwachsene sich zweckbestimmt und zielbewußt an sexuelle Demütigungen erinnern, die es nie gegeben hat. Jenseits der großen Irrtümer und unwiderruflichen Verfehlungen, läßt der Regisseur durchblicken, haben sogar die Niederträchtigen eine Chance. Diese dürfen durchaus schwul sein, denn: „Die sind nicht blöd“, wie Dedee weiß. Und sie weiß einfach alles.

Ulf Erdmann Ziegler

„The Opposite of Sex – Das Gegenteil von Sex“. Buch und Regie: Don Roos. Mit Christina Ricci, Martin Donovan, Lisa Kudrow und natürlich Lyle Lovett, USA 1998, 94 Min.