■ Der Kosovo-Krieg und die Folgen (3): Diese Nato-Intervention darf kein Modell für die künftige bundesdeutsche Außenpolitik sein
: Ein Krieg ohne Sieger

Erstmals hat sich Deutschland an einem Krieg beteiligt, dazu noch ohne klare völkerrechtliche Grundlage. Grund genug für eine kritische Bestandsaufnahme.

Weder die rot-grüne Bundesregierung noch die Bündnisgrünen sind unter der Last des Krieges zerbrochen. Manche Politiker suggerieren gar, die Innenpolitik müsse zukünftig genauso erfolgreich sein wie die Außen- und Sicherheitspolitik während des Krieges. Diese Interpretation erscheint mir zu bequem, politisch halte ich sie für gefährlich. Wir brauchen eine Debatte über den Krieg auf dem Balkan, um für künftige außenpolitische Herausforderungen gewappnet zu sein. Die folgenden Thesen sollen dazu beitragen.

Jeder Krieg ist eine politische Niederlage für all jene, die Gewalt in zwischenmenschlichen und zwischenstaatlichen Beziehungen ablehnen. Um einen Krieg zu bewerten, benötigt man Transparenz und Informationen. Beides ist bis heute nicht ausreichend gegeben.

Der Krieg hätte, bei rechtzeitigem Engagement, verhindert werden können. Doch alle Warnsignale, wie die Aufhebung der Autonomie des Kosovo 1989, die Repressalien durch das Regime Miloševic, die Politik der ethnischen Säuberung gegenüber den Kosovo-Albanern, wurden weitestgehend ignoriert.

Die Marginalisierung der UN durch die Nato während des Bosnien-Krieges hat dazu geführt, daß die Nato in Sachen Kosovo die Federführung übernahm. Der „Act-Ord“-Beschluß, der noch von den alten Mitgliedern des bereits neu gewählten Bundestages gefaßt wurde, war ein Vorratsbeschluß. Mit dem Verzicht auf eine nochmalige Beschlußfassung vor den Nato-Luftschlägen haben die nationalen Parlamente ein Stück weit den Primat der Politik aus der Hand gegeben.

Die für alle Akteure notwendige Fragestellung nach den Konsequenzen, wenn die eingesetzten Mittel nicht zum Erfolg führen würden, wurde verdrängt. Grund mag die jahrelange Handlungsunfähigkeit und der Versuch der Europäer gewesen sein, den Konflikt im Kosovo auszusitzen. Es blieb dann nur noch das militärische Agieren unter Federführung der Amerikaner.

Fakt ist: Das Kriegsziel der Nato, das Ende der ethnischen Säuberungen, wurde nicht erreicht. Lag dem eine Fehleinschätzung der Nato zugrunde? Oder ging sie dieses Risiko ein, weil sie aus der selbstgesetzten Eskalationsspirale „Unterschrift oder Bomben“ nicht mehr herauskonnte? Die Nato war gezwungen, mitten im Luftkrieg gegen Jugoslawien die Kriegsziele umzudefinieren, nachdem klar geworden war, daß die Bomben die zu Beginn erklärten Ziele nicht erreichen würden. Spätestens zu diesem Zeitpunkt war es auch ein Krieg gegen die serbische Zivilbevölkerung. Unklar ist bis heute, inwieweit die Regierungen der Nato-Staaten in die konkreten Angriffsplanungen einbezogen waren.

Das Ende des Krieges als Sieg der Nato zu bezeichnen ist absurd. Wären die, vor allem von der deutschen Regierung, immensen Anstrengungen gescheitert, Rußland wieder einzubinden, um die UN-Sicherheitsresolution und damit das völkerrechtliche Mandat für den KFOR-Einsatz zu erlangen, wäre ein militärischer Automatismus mit unkalkulierbaren Risiken der Eskalation bis hin nach Belgrad zum Zuge gekommen.

Hätte Miloševic nicht in letzter Sekunde nachgegeben, wäre es aufgrund fehlender Einstimmigkeit im Bündnis zu einem Bodenkampfeinsatz unter Führung der Amerikaner und Engländer gekommen. Ziel wäre nicht nur das Ende Miloševics gewesen, sondern die Sicherung des Fortbestands der Nato. Trotz aller Dementis gibt es genügend Hinweise darauf, daß sich auch Deutschland mit Mitteln der Logistik und Luftaufklärung beteiligt hätte.

Der Kosovo-Krieg kennt keine Gewinner. Die serbische Infrastruktur ist weitestgehend zerstört; die Angaben über Opfer und Folgeschäden für die serbische Bevölkerung liegen nach wie vor nicht auf dem Tisch; die zurückkehrenden Kosovo-Albaner stehen zwar vor weit weniger Zerstörung als ursprünglich von der Nato angegeben, aber vor allem sie werden künftig unter den physischen und psychischen Folgen der ethnischen Kriegsführung seitens Miloševics zu leiden haben. Darüber hinaus drohen die Minen und die nicht gezündeten Nato-Splitterbomben über Jahrzehnte eine tikkende Bombe für die Zivilbevölkerung im Kosovo zu werden.

Das Ende des Krieges bedeutet keinen Frieden. Nach wie vor gibt es zu viele Brandherde auf dem Balkan, die leicht wieder entflammen können. Es wird eine der größten Herausforderungen für die EU sein, den Stabilitätspakt so zu gestalten, daß sowohl der großserbische als auch der großalbanische Traum beendet wird.

Hieraus ergeben sich erste politische Schlußfolgerungen:

Die politischen Spielräume zur Beilegung des Kosovo-Konflikts wurden nicht genutzt, bzw. man hat versäumt, die nötigen Instrumente zur zivilen Konfliktprävention rechtzeitig aufzubauen.

Die fehlende gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik der Europäer führte dazu, daß erst gehandelt wurde, als das Kind im Brunnen lag und die Amerikaner bereit waren, die militärische Federführung zu übernehmen.

Der Nato-Angriff auf Jugoslawien darf nicht das Modell für das 21. Jahrhundert werden. Vielmehr ist die EU gefragt, im präventiven, aber auch im militärischen Bereich eine Eigenständigkeit aufzubauen, die frühzeitiges und eigenständiges Agieren ermöglicht. Dies sollte unter enger Einbindung Rußlands, aber nicht in Konkurrenz zu den transatlantischen Beziehungen geschehen.

Der Kosovo-Krieg hat verdeutlicht, daß die faktische Selbstmandatierung der Nato und damit die Infragestellung des Gewaltmonopols der UN die politischen Spielräume massiv beeinträchtigt. Daher gilt es, die von Butros Ghali angekündigte Reform des UN-Sicherheitsrates – und damit die Stärkung der UN – zu unterstützen. Gleiches gilt für die OSZE – vor allem im Bereich der Ausbildung von Personal, das polizeiliche und konfliktmoderierende Aufgaben übernehmen kann.

Sicherheit in Europa wird nach wie vor in erster Linie von sozialer, ökonomischer und ökologischer Stabilität sowie der Bereitschaft der EU-Mitglieder, auf nationale Interessenpolitik zu verzichten, abhängen. Konfliktprävention muß die wichtigste Konsequenz aus dem Kosovo-Krieg sein. Der Bundesrepublik stünde es gut an, bei der Ausweitung der politischen, nicht militärischen Handlungsmöglichkeiten die Rolle einer lead-nation zu übernehmen. „Deutsche Außenpolitik ist Friedenspolitik“, so die Koalitionsvereinbarung. Die Frage der Konfliktprävention und der Umgang mit Menschenrechten sind der Lackmustest für die Regierung. Angelika Beer

Hätte Milosevic nicht nachgegeben, wäre es zum Bodenkrieg gekommenWir brauchen mehr zivile Prävention – und eine stärkere, reformierte UNO