Hoher PKK-Funktionär in die Türkei entführt

Cevat Soysal, anerkannter Asylbewerber in Deutschland, war offensichtlich Mitglied der Europaleitung der PKK in Brüssel. Festgenommen wurde er aber nicht in Deutschland, sondern in Moldawien  ■   Von Eberhard Seidel

Respekt. Das war perfektes Timing. Und eine Räuberpistole. Bundesaußenminister Joschka Fischer ist gerade zu seiner zweitägigen Türkeireise aufgebrochen. Mit der festen Absicht, nicht nur die diplomatischen Beziehungen zur Türkei zu normalisieren.

Bevor also jener Fischer in Straßburg abhebt, der die Türkei bereits wiederholt aufgefordert hatte, die kurdische Frage durch Verhandlungen zu lösen, und von von dem erwartet wird, daß er die Türkei drängen wird, das Todesurteil gegen Abdullah Öcalan nicht zu vollstrecken, schlägt die Bombe ein.

Der türkische Fernsehsender NTV vermeldet: „Der türkische Geheimdienst hat Dienstag nacht Cevat Soysal, einen führenden Funktionär der Arbeiterpartei Kurdistans (PKK), gefaßt und in einem Privatflugzeug aus Deutschland in die Türkei entführt.“ Und der türkische Ministerpräsident Bülent Ecevit bestätigte gegenüber der Presse, daß „ein hochrangiger Anführer der PKK in Europa“ festgenommen worden sei, bei dem es sich um die „Nummer zwei“ der PKK handele.

Ein Foto zeigt Soysal, wie er mit verbunden Augen aus einem Flugzeug in Istanbul steigt, begleitet von zwei mit Skimützen maskierten Agenten. Alles wie gehabt – damals im Februar, als die „Nummer eins“, Abdullah Öcalan, aus Kenia verschleppt wurde. Und der Paß von Soysal wird eingeblendet, ausgestellt in Deutschland, in Mönchengladbach. Das ist der Stoff, der in der Türkei Emotionen weckt und aus dem Verschwörungstheorien gestrickt werden. Europa, PKK – alles eins. Alle wollen sie die territoriale Integrität der Türkei in Frage stellen.

In Deutschland herrscht dagegen kurzfristig Irritation. Weder die Bundesanwaltschaft noch das Innenministerium oder das Bundeskriminalamt wissen etwas von einer Entführung. Das Innenministerium in Nordrhein-Westfalen gibt dagegen noch am Nachmittag bekannt, daß Cevat Soysal ein anerkannter Asylbewerber ist, der einen deutschen Reisepaß besitzt. Unter dem Decknamen „Mehmet Hodcha“ sei er als Mitglied der Europaleitung der PKK in Brüssel aufgetreten. Und der Verfassungsschutz weiß auch, daß Soysal vor fünf Tagen in Moldawien verhaftet wurde. Deutsche Behörden seien an der Festnahme allerdings nicht beteiligt gewesen.

Die Sprecherin der PKK in Brüssel, Mizgin Sen, bestätigt, Soysal habe Flüchtlingsstatus in Deutschland. Und ERNK, der politische Arm der PKK, teilt mit: „Unser Freund wurde nicht durch eine Geheimdienstoperation der Türkei aus Moldawien verschleppt, sondern von den dortigen Behörden vor etwa einer Woche festgenommen und den türkischen Behörden ausgeliefert.“

Weiter erklärt die Organisation, daß Cevat Soysal kein Mitglied der PKK sei, sondern ein ERNK-Mitglied in Europa. ERNK habe sich, so ein Sprecher, in Moldawien zwei Tage lang um die Freilassung ihres Mitglieds bemüht. Nach zwei Tagen sollen die moldawischen Behörden geleugnet haben, daß sie Soysal inhaftiert hatten.

Nachdem bereits die halbe Welt mehr wußte, als die offiziellen türkischen Stellen mitteilen wollten, treten Ecevit und ein Mitarbeiter des türkischen Geheimdienstes vor die Kamera von NTV: Nein, Soysal sei nicht in Deutschland festgenommen worden, räumt man ein, jedoch in einem europäischen Land. Wo, darauf wollte man sich nicht festlegen.

Eines wurde mit dieser Inszenierung auf jeden Fall erreicht. Die türkische Regierung demonstriert gegenüber der Bevölkerung Härte in der Kurdenfrage. Vielleicht dient das Ganze ja dazu, gegenüber Fischer und Europa Besserung in den Fragen der Menschenrechte in Aussicht zu stellen.