Krisenreaktionskräfte „im Arsch“

Verteidigungsminister Rudolf Scharping will die Auslandstruppe der Bundeswehr um 6.500 Mann aufstocken. Woher das Geld kommen soll, wußte der Minister auf Abruf dem Parlament nicht zu sagen  ■   Von Christian Füller

Berlin (taz) – Deutschlands oberster Soldat verlor sich nicht im abstrakten Strategie-Sprech. Deutschland brauche Streitkräfte, sagte Generalinspekteur Hans-Peter von Kirchbach jüngst, „die noch deutlicher auf Einsätze ausgerichtet“ sind – im Ausland. Den Weg schlug die Bundeswehr gestern zwar ein. Verteidigungsminister Rudolf Scharping (SPD) versprach im zuständigen Ausschuß des Bundestages, daß er die Krisenreaktionskräfte (KRK) der Bundeswehr um 6.500 Mann erhöhen wird. Wie die bislang 50.000 KRK-Kämpfer Nachschub erhalten sollen, weiß Vier-Sterne-General Kirchbach aber immer noch nicht. Die Truppe, die der „Held von der Oder“ übernommen hat, versinkt in Agonie.

Nicht mal den Mitgliedern des Verteidigungsausschusses war gestern klar, ob vor ihnen ein angeschlagener Minister oder der künftige Nato-Generalsekretär Scharping sprach. Der SPD-Politiker war engagiert wie immer. Dennoch standen alle Zeichen auf Abschied, manche nennen es Flucht. Scharping hatte am Morgen auch in der x-ten Haushaltsklausur mit Finanzminister Eichel und Bundeskanzler Schröder keinen Nachlaß erhalten – von dem Ex-Kanzlerkandidaten wird weiter erwartet, daß er den Bundeswehretat entgegen den ursprünglichen Planungen um 3,5 Milliarden Mark zurückfährt. Warum also nicht dem Drängen der US-Amerikaner nachgeben, die Scharping an die Spitze der Nato stellen wollen?

In der Bundeswehr rumort es gewaltig. Scharping mache, nach seiner glanzvollen Rolle während des Kosovo-Krieges, „Fehler über Fehler“, zitiert eine Agentur hochrangige Offiziere. Der Bundeswehrverband will im September Uniformierte nach Berlin schicken – zum Demonstrieren: „Erst schickt ihr uns in den Krieg, dann tretet ihr uns in den Hintern.“ Bernhard Gertz, Chef der Soldatenlobby, ist von Scharping schwer enttäuscht. Wenn die finanziellen Kürzungen durch Abbau von Soldaten erwirtschaftet werden sollen, sagte Gertz der taz, „dann wären wir, mit Verlaub, im Arsch“. Vor wenigen Tagen hatte Gertz noch versucht, Scharping mit freundlichen Worten nach Brüssel ins Nato-Hauptquartier wegzuloben. Die Tonlage hat sich geändert.

Hintergrund des Frusts sind die Krisenreaktionskräfte, jene deutschen Soldaten also, die auch außerhalb des Landes die Freiheit des deutschen Volkes tapfer verteidigen sollen. Drei schwer bewaffnete Gefechtsverbände hat Rot-Grün ins Kosovo entsandt. Insgesamt sind auf dem Balkan mittlerweile rund 13.000 deutsche Soldaten im Einsatz.

So vielbeklatscht deren Auftritt mancherorts sein mag, zu Hause in Deutschland sind nicht genug Soldaten, um rechtzeitig für Ablösung zu sorgen. Nach einem Einsatz sollen die Soldaten zwei Jahre am Heimatstandort pausieren dürfen. Schon wird spekuliert, den Truppentausch nur alle sechs Monate vorzunehmen statt nach vier Monaten. Intern warnen alle davor, die Soldaten zu lange fern der Heimat zu lassen: „Sonst gehen zu Hause die Familien kaputt.“ Für den Chef des Bundeswehrverbandes, Gertz, ist die Sachlage eindeutig: Die Regierung habe das Limit der Auslandstruppe überstrapaziert, als sie von geplanten 6.000 auf über 8.000 Soldaten im Einsatzgebiet aufstockte. „Wer die Zahl der dort eingesetzten Soldaten so erhöht, der nimmt bewußt deren Überbelastung in Kauf.“

Deswegen hat Scharpings gestriges Versprechen im Reichstag, die Krisenreaktionskräfte aufzustocken, das Kopfschütteln bei den Abgeordneten eher verstärkt. Wie er das bezahlen will, ließ der Minister auf Abruf weiter offen. Immer noch sind über zwei Milliarden Mark seines Sparbeitrages an den Kollegen Eichel nicht exakt belegt, wie es im Haushalts-Chinesisch heißt. „Das ist für uns alle noch ein Buch mit sieben Sigeln“, faßte der Grünen-Abgeordnete Hans-Josef Fell die Stimmung der MdBs zusammen, „es wird schmerzliche Eingriffe geben.“