Kopie der Kopie der Kopie

■ Wenn es Schmetterlingen heiß am Arsch wird: Eine kurze Geschichte der Schöpfung anläßlich der Weserburg-Ausstellung „Originale echt/falsch“

Im Anfang war die Idee, und die Idee war bei Gott, und Gott war die Idee. Am ersten Tag fiel es ihm ein, und so schied er die Nacht vom Tag, das Wasser vom Feuer und die Luft von der Erde. Am zweiten Tag fiel es ihm ein, und so schuf er Adenin, Thymin, Guanin, Cytosin und Uracil, murmelte die Worte Ribo- und Desoxyribonucleinsäure und ließ sie gewähren. Am dritten, vierten, fünften und sechsten Tag nahm er sich frei, um zu schauen, was er geglaubt, und er sah, daß es gut war. Am siebenten Tag war er des Ausruhens müde, und so suchte er sich eines unter seinen Geschöpfen und sagte: „Du, mein Sohn, sollst den Namen Marcel Duchamp tragen und mir als Künstler fortan Freude bereiten.“ Und bevor Marcel Duchamp tat, wie Gott ihm geheißen, fragte er: „Darf ich ein bißchen wie Du sein, der aus Käfern neue Käfer macht und aus Raupen Schmetterlinge?“ Und Gott antwortete: „Mein Sohn, Du ...

An dieser Stelle bricht die Überlieferung ab, jedoch nicht die Geschichte. Denn Marcel Duchamp, ein echter Frechdachs unter den KünstlerInnen, machte tatsächlich aus Raupen Schmetterlinge, und vor allem machte er es umgekehrt. Obwohl sein Gesamtwerk in Miniaturform in einem Koffer Platz hat (“La boite-en-valise“), ist er doch ein Gigant. Anno domini 1917 fiel es ihm ein, ein Pissoir auf die Wandseite zu legen, es mit (dem Herstellernamen) R. Mutt zu signieren und bei einer Jeder-darf-Mitmachen-Ausstellung als „Fontaine“ (Springbrunnen) einzureichen. Mit diesem Streich war er zu früh dran, um verstanden zu werden. Die Ausstellungsmacher lehnten die Einreichung ab. Erst in den 60er Jahren erkannten Menschen – nennen wir sie Duchamps Jünger – den Tiefsinn der „Fontaine“, und seither werden es immer mehr.

Noch heute wird über das Pissoir geforscht. Gerade erst erregte eine Arbeit der Amerikanerin Rhonda Roland Shearer unter dem Volk der KunsthistorikerInnen Aufmerksamkeit. Demnach ist das Pissoir kein als Readymade eingereichtes Objekt (gewesen), sondern Duchamps Nachbildung eines Pissoirs. Doch egal, ob es eine Nachbildung aus Künstlerhand oder einfach ein zur Kunst erklärtes Objekt (gewesen) ist: Duchamps „Fontaine“ bleibt ein in doppeltem, dreifachem, ja sogar vierfachem Sinne phänomenales Werk, das auf radikale Weise die Frage nach dem künstlerischen Akt stellt und auf das sich deshalb noch heute Ausstellungen beziehen. Das Neue Museum Weserburg schreibt mit seinem Beitrag zur Bremer Ausstellungsreihe „Wir haben die Originale“ unter dem Titel „Originale echt/falsch“ das jüngste und von Landesbank und Marketing Gesellschaft finanzierte Kapitel dazu.

Die schon in den anderen Bremer Museen gestellte Frage nach dem Original erhält in der Weserburg eine weitere Antwort. „Die Aussage ,wir haben die Originale' kommt aus einer wertkonservativen Haltung“, sagt Museumschef Thomas Deecke. „Wir bewahren Dinge, von denen wir glauben, daß sie dauerhaft sind“, ergänzt der Mann, der sich als Leiter eines konservativen Instituts bezeichnet. Doch was für die Speere im Übersee-Museum, die stadtgeschichtlichen und kunsthandwerklichen Gegenstände im Focke-Museum oder die Exponate der Kunsthalle gilt, hat bei den Schlaubergern in der Weserburg eine sozusagen philosophische Note: Duchamps „Fontaine“ kann kein noch so konservativer Mensch mehr bewahren, weil es das „Original“ gar nicht mehr gibt. Vom Pissoir ist nur das überliefert, was es am Anfang war: die Idee. Diese Idee jedoch hat so viele DuchampianerInnen zu eigenen Ideen angeregt, die sich in Form von künstlerischen Referenzen und Selbstreferenzen, von Übersetzungen und Rückübersetzungen, von Aneignungen und Kopien für alle Welt sichtbar über das zweite Stockwerk der Weserburg ausbreiten.

Allein die Phantasien über die „Fontaine“ sind einen Besuch wert. Richard Pettibone hat das einzige existierende Foto in Malerei übersetzt. Die in Paris und New York lebende Sturtevant, die unter den AneignerInnen eine ganz Bekannte und in der Weserburg der Star der Ausstellung ist, hat das „Original“ nach dem Orginal hergestellt. Sherrie Levine hat es in Bronze gegossen und das Pissoir durch das Material wieder in gängige Kunstauffassungen zurückübersetzt. Hans Haackes plätschernde Weiterentwicklung „Baudrichard's Ecstasy“ ist für sich allein ein Gewimmel von Bezügen, daß es ganz verständlich ist, daß Jimmie Durham die Faxen dicke hat und sein Pissoir einfach mit einem großen Stein zerschlägt.

Doch Duchamp hat auch aus Schmetterlingen Raupen gemacht. Seine Mona-Lisa-Postkarte mit dem aufgekritzelten Bart und dem Titel L.H.O.O.Q. (frz. Lesart: El a chaud au cul; deutsche Übersetzung: Ihr ist heiß am Arsch) hat wiederum eine Nachahmerei zur Folge, die in Sturtevants Rückübersetzung der „rasierten L.H.O.O.Q.“ gipfelt. Mittlerweile sind auch die Jünger flügge geworden und plündern nicht nur bei Duchamp munter drauf los. Da werden Originale aufs Korn genommen, weiterentwickelt oder bis ins Detail kopiert.

Es ist jedenfalls ein ironisches bis gedankenvolles Schauspiel von Duchamp bis Beuys bis Cindy Sherman, das sich in der Weserburg ereignet. Aber in einer Sache sind die ansonsten jedem Gedankenspiel aufgeschlossenen Konservierer aus der Weserburg doch nachteilhaft konservativ: „Echt/falsch“ ist vor allem Malerei, das eine oder andere Künstlerbuch und Environment. Beiträge aus den Neuen Medien, in denen noch hemmungsloser zitiert, angeeignet und rückübersetzt wird, fehlen in dieser Ausstellung auffällig und für empfindlichere Leute sogar schmerzlich. Christoph Köster

„Originale echt/falsch“ bis zum 24. Oktober in der Weserburg; Eröffnung am Samstag, 24. Juli, um 19 Uhr; Katalog: 45 Mark. Im Gegensatz zur Ausstellung, in der das „Original“ jeweils als verkleinerte Reproduktion hängt, sind „Original“ und Nachahmung, Zitat etc. im Katalog gleich groß nebeneinander gestellt.

P.S.: Etwa hundert Jahre nach Eröffnung des Museums gibts im Haus jetzt endlich eine Gastronomie. Der Ex-Wirt des „C'est la vie“ in Schwachhausen, Azzedine Chemchem, eröffnet am Sonntag die Brasserie „La Citadelle“. Wir werden uns demnächst unerkannt dort einschleichen und darüber berichten.