Chinas Führung verbietet Falun-Gong-Sekte

Nach den Massenverhaftungen sollen bis zu 30.000 Menschen in Sportstadien interniert worden sein. Die Proteste in chinesischen Städten dauern an. Staatsmedien starten Verleumdungskampagne gegen Sekte  ■   Von Sven Hansen

Berlin (taz) – Chinas Regierung hat gestern die sektenartige Falun-Gong-Bewegung per Dekret verboten. Die Polizei setzte die Massenverhaftungen von friedlich protestierenden Anhängern der taoistisch-buddhistischen Heilslehre zum Teil unter Einsatz von Gewalt fort. Dabei sollen nach Informationen von Menschenrechtsgruppen bis zu 30.000 Menschen in Sportstadien interniert worden sein. In der Anordnung des Ministeriums für Zivilverwaltung in Peking hieß es laut der Nachrichtenagentur Xinhua, Falun Gong sei in „illegale Aktivitäten verwickelt“, befürworte Aberglaube, betreibe Irreführung und gefährde die soziale Stabilität. Das KP-Zentralkomitee wies Parteimitglieder an, sich in einem „klaren ideologischen Schnitt“ von Falun Gong loszusagen.

Staatliche Medien begannen gestern eine Verleumdungskampagne. Das Parteiorgan Volkszeitung berichtete von Änhängern der Sekte, die geisteskrank geworden seien, Selbstmord begangen oder andere umgebracht hätten. Das Blatt berichtete auch von Fällen, in denen Menschen erfolgreich von ihrem Glauben geheilt worden seien. Bisher hatten Falun-Gong-Anhänger ihrerseits von Wunderheilungen berichtet.

Staats- und Parteichef Jiang Zemin soll das Verbot der nach eigenen Angaben 100 Millionen Mitglieder zählenden Sekte bereits am Montag abend erlassen haben. Seitdem gehen die Behörden massiv gegen Falun Gong vor. Zunächst waren in mehreren Städten rund hundert führende Mitglieder verhaftet worden. Als dagegen friedlich protestiert wurde, verhaftete die Polizei Tausende Demonstranten, von denen zweitausend am Mittwoch in zwei Pekinger Stadien gesperrt wurden. Vorgestern protestierten 30.000 Anhänger in 30 Städten Chinas, berichtete das Hongkonger „Informationszentrum für Demokratie und Menschenrechte in China“. Gestern gingen die Proteste in zahlreichen Städten weiter.

Erstmals hatten am 25. April 10.000 Falun-Gong-Anhänger die Staats- und Parteiführung mit einer wohlorganisierten Demonstration im Pekinger Regierungsviertel überrascht. Seit der Demonstration, die sich gegen Verhaftungen, Behinderungen durch Behörden und negative Medienberichterstattung richetete, betrachtet die KP-Führung die im Stile einer traditionellen Geheimgesellschaft organisierte Sekte mit Argwohn. Die Kommunisten fühlen sich in ihrer Macht durch Chinas schnellstwachsende religiöse Bewegung bedroht. Es wird befürchtet, daß sie eines Tages die durch die wachsende Arbeitslosigkeit gärende Unzufriedenheit bündeln könnte. Mit dem jetzigen Vorgehen versucht die KP-Führung, den bisherigen Kreislauf aus Verhaftungen und anschließenden Protesten in einem Showdown zu durchbrechen. Damit soll nicht nur jegliche potentielle Opposition vor dem 50. Jahrestag der Gründung der Volksrepublik am 1. Oktober ausgeschaltet werden. Die KP-Führung versucht auch die Kontrolle über ihre eigenen Mitglieder zurückzugewinnen. Falun Gong hat auch in der KP zahlreiche Anhänger.

Abgesehen von der negativen Konnotation wollen Falun-Gong-Anhänger ihre Bewegung auch deshalb nicht als Sekte bezeichnet sehen, weil diese in China schon lange verboten sind. Auch soll nicht von einer Religion gesprochen werden, weil nur bestimmte Religionen zugelassen sind. Falun Gong ist nach eigener Definition lediglich eine völlig unpolitische „Meditationsbewegung“ oder „Kultivierungsschule“. Sie vermischt buddhistische und taoistische Lehren mit der Atemtechnik Qigong und zielt sie auf die ständige moralische und körperliche Verbesserung des Menschen. Als Grundlage gilt das buddhistische Gebot der Wahrhaftigkeit, Barmherzigkeit und Nachsicht. Chinesische Soziologen sprechen hingegen von einem buddhistisch-taoistischen Fundamentalismus.

Es ist damit zu rechnen, daß in nächster Zeit bereits die ersten Prozesse gegen Führer von Falun Gong beginnen.