Tu's noch mal, Gerhard!

■ Wieder dringt der Kanzler brieflich auf Personen ein und beklebt sie mit seiner Duftnote. Diesmal geht die Post an die 800.000 SPD-Mitglieder

Berlin (taz) – Das Sommerloch füllen die beiden großen Parteien in diesem Jahr nicht nur mit den gleichen Themen – Reformen und Renten. CDU und SPD füllen auch die Briefkästen des Wahlvolks.

Briefaktionen sind der letzte Schrei in der Politik. Die CDU versucht die Senioren mit ihrer Rentenkampagne per Post zu erreichen. 800.000 Parteimitgliedern der SPD steht ebenfalls Post ihres Vorsitzenden und Kanzlers Gerhard Schröder ins Haus. Er will die Mitglieder vor den fünf Landtagswahlen im Herbst dieses Jahres „kommunikativ aktiv werden“ lassen.

„Liebe Brigitte Müller! Lieber Karl Müller!“ – ganz persönlich in der Anrede an jeden einzelnen Genossen wirbt der Parteichef in seinem zweiseitigen Brief um Unterstützung für das Sparpaket der Bundesregierung. Den Brieftext habe Schröder selbst verfaßt, so SPD-Sprecher Albrecht Funk. Nur die Unterschrift auf jedem Brief stamme nicht aus der Feder des Kanzlers höchstpersönlich.

Schröder schreibt wieder. Das macht er gerne. Hat er doch im Bundestagswahlkampf in seinem Buch „Und weil wir unser Land verbessern ...“ Briefe an 26 ausgewählte Bürger veröffentlicht, um für seine Politik zu werben. Damals machte er sich nicht nur Freunde. Nach dem Erscheinen seiner Briefe beschwerten sich einige der Empfänger. „Schröder hat nicht gefragt, ob ich mit ihm in einen Briefwechsel dieser Art treten will“, sagte der über den Abdruck überraschte Bürgerrechtler Klaus Vack. Dem damaligen Kanzlerkandidaten warf er vor: „Sie dringen auf meine Person ein und bekleben mich öffentlich mit Ihrer Duftnote.“

Ein weiterer Brief aus dem Wahlkampf-Buch war gut gemeint, entpuppte sich diese Woche aber als Flop. „Ich hoffe Sie an meiner Seite, damit wir gemeinsam ein modernes Deutschland schaffen können“, hieß es im Schreiben Schröders an Tanju Karabunar, den angeblichen Initiator des „Turkish College Club“. Nach Recherchen des Spiegels hat es diesen Verein, der sich um die „Förderung von türkischstämmigen Studenten“ zu bemühen vorgab, nie gegeben. Kurz bevor Karabunar Schröders Brief bekam, sei er aus einem holländischen Gefängnis entlassen worden, wo der junge Türke dreieinhalb Jahre Haft wegen Geiselnahme verbüßt hatte. Mit der persönlichen Post des Kanzlers habe er dann Investoren für seine Anfang des Jahres in Düsseldorf gegründete Softwarefirma gesucht.

Diesmal fühlt sich Gerhard, der Briefeschreiber, mit seiner Briefaktion auf der sicheren Seite. Parteisprecher Funk ist überzeugt vom Erfolg der Schröder-Post. Im Gegensatz zu den Christdemokraten dürfte der Kanzler jedenfalls wissen, an wen er seine Briefe adressiert. Während die Union bei der Beschaffung der Rentneradressen sich im Datenschutz verhedderte, vermeldet die SPD: „Unsere Briefe kommen an. Wir haben die Adressen.“

Andreas Finke