Schneller als die Zeit

Das Universum paßt in eine Nußschale und ist gleichzeitig unendlich: Stephen Hawking und Kollegen machten sich in Potsdam Gedanken um die richtige und ultimative Zusammensetzung der Weltformel  ■   Von Andreas Becker

Die Schlange, die sich am Samstag mittag auf dem Campus der Potsdamer Uni am Neuen Palais bildete, war unüberblickbar. Aber war sie auch unendlich, dehnte sie sich ins Unendliche aus, und: Was lag hinter dieser Schlange? Die ersten vierhundert jedenfalls ergatterten ein Kärtchen für eine Veranstaltung mit Stephen Hawking. Der Rest mußte sich mit einer Videoleinwand begnügen.

Schlicht um die Zusammensetzung der Weltformel sollte es gehen. Um diese hatten sich Wissenschaftler auf dem Kongreß „Strings '99“ schon einige Tage bemüht.

Für die meisten in der Schlange unsichtbar, saß der kluge Mann im Rollstuhl mit PC-Screen bei Kerzenlicht in der Cafeteria. Der Godfather aller Galaxien schien Einsteins Relativitätstheorie noch einmal per Sprachcomputer mit seiner Betreuerin durchzuspielen. So unsichtbar dem Laien Hawking zunächst blieb, so unsichtbar dürfte den meisten auch die Einteilung der Welt in Quarks, Quanten, schwarze Löcher und Strings sein.

Dabei ist alles so einfach. Die ganze Geschichte nahm ihren Ursprung günstigerweise gleich bei uns um die Ecke, in einem Ort, der von Berlin aus prima unter einer Stunde mit der Regionalbahn erreichbar ist: Caputh. Hier forschte Einstein munter vor sich hin, abends ging er auf ein Bierchen ins Fährhaus, und wenn alle andern längst Sterne im Kopf sahen, machte sich Albert auf Richtung Potsdam. Auf dem Brauhausberg (!) stand und steht eine blecherne Sternwarte. Irgendwann kam Einstein die Erkenntnis, daß nichts schneller ist als Licht, nicht mal die Sterne. Was übrigens jeder überprüfen kann, der versucht, schneller als das Licht seiner Fahrradlampe zu fahren funktioniert nicht! Also ist e=mc2.

Von dieser Entdeckung, auf die er später relativitätstheoretisch noch einen draufsetzte, war Albert so fasziniert, daß er vergaß, im Fährhaus Caputh seinen Deckel zu bezahlen – der ist noch heute offen. 1905 entdeckte Einstein beim Radfahren, daß seine Uhr langsamer tickte als im Stillstand. Daß die Zeit langsamer vergeht, je schneller die Bewegung ist, erwähnte auch der erste Redner bei der Veranstaltung mit Hawking, Bernard Schutz vom Albert Einstein Institut. Diese merkwürdige Tatsache führt zum Beispiel dazu, daß die Uhren in Satelliten, die die Erde umkreisen, permanent falsch gingen, würden sie nicht automatisch nachgestellt.

Schutz bemühte sich, den Hawking-Fans die galaktische Komponente der Physik, den Makrobereich, zu verklickern. Der zweite Redner vor Hawking, Edward Witten aus Princeton, skizzierte die Mikroseite der Medaille, quasi die Analyse der kleinsten Kekskrümel, die täglich aus dem All auf uns herabrieseln. Die Hoffnung der Physiker fürs nächste Jahrtausend: die Zusammenführung von Quantenphysik und Relativitätstheorie zu einer übergeordneten Theorie, die uns endlich den Schlüssel zur Erklärung des Universums liefern könnte. Witten machte uns Hoffnung, daß wir noch einige Jahre Zeit hätten für das Unternehmen Weltformel.

Wenn das Universum, wie einige meinen, vor Jahrmillionen mit dem Big Bang, dem Urknall entstanden ist, dann wird es auch noch einige Jährchen weiterexistieren.

Zunächst aber gilt es noch einige knifflige Fragen zu diskutieren. Ansonsten können wir nur dem Zermonienmeister Hawking folgen, der meinte, wenn alles nichts hilft, müße man eben doch davon ausgehen, daß Gott mit uns Würfel gespielt habe. Was Hawking von seinem jungen Assi durch eine launige Computercomicgrafik illustrieren ließ.

Wollen wir nicht ahnungslos leben wie im Casino, müßen wir laut Schutz unbedingt rausfinden, was in schwarzen Löchern passiert. In diesen Aufsaugeinrichtungen für Materie, herrschen scheinbar ideale Bedingungen für Leute, die Angst vor Falten haben: Die Gravität ist hier so stark, daß die Zeit, wie Einstein es ahnte, verschwindet. Bei maximaler Geschwindigkeit im Kreis gibt es keine Zeit mehr, also keine Alterung.

Gleichwohl sei die Frage, was dann mit den Partikeln (oder gravitätischen Menschen) passiere, unsinnig, ja wissenschaftlich irrelevant. „Time simply ends“ meinte Schutz lapidar. Eine Antwort, die jeden klugen Geist unzufrieden lassen muß. Wohl auch deshalb war hier ein leises Murren im Potsdamer Saal zu vernehmen.

Dafür konnte Schutz uns computergelenkte Animationen liefern, die erstmals simulieren können, was passiert,wenn zwei schwarze Löcher aufeinanderzufliegen und verschmelzen. Da möchte man nicht mit dem Raumschiff in der Nähe sein! Verdammt schwer sind diese Löcher im Kosmos. „Giant Black Holes“ wiegen schon mal eine Million Sonnen.

Klasse für Hobbydenker ist auch ein Projekt der Expo 2000, die Errichtung einer Geo 600 Station auf einem Acker bei Hannover. Hier entsteht ein merkwürdiger großer Metallkasten, einer von weltweilt fünf „Gravitations-Detektoren“, der uns sagen wird, ob das Universum bis heute gelogen hat oder doch immer die reine Wahrheit am Himmel steht.

Ziemlich kompliziert wird die Sache auf der Mikroebene. Witten, der seinen Vortrag mit selbstbekritzelten Overhead-Folien erläuterte, bezog sich vor allem auf die Quantentheorie aus dem Jahre 1924. Die ich leider nicht verstanden habe.

Ist aber auch kein Wunder, denn die Welt der Elektronen ist quasi immer im Fluß. Diese winzigsten aller Dinger sind nicht richtig faßbar. Sie unterliegen einer Regel, der wir alle folgen, ohne sie zu verstehen. Der „Basic Fuzzines to Everything“. Diese Fuzzines bewirkt, daß alles irgendwie unklar, weil ungreifbar bleibt. Das Elektron ist so cool, ständig unterwegs zu sein. Auf Fotos sehen wir immer nur eine Art Spur (wie Straßenbahnen mit irre langer Belichtungszeit fotografiert). Weil die Physiker damit nicht zufrieden sein konnten, entwickelte sich die String-Theorie. Diese geht davon aus, das das huzzelige Elektron nicht kreisartig aussieht, sondern wie eine Saite, meinetwegen eines Klaviers. Diese Saite hat natürlich jede Menge Seiten, Teile und Ecken.

Als Hawking auf die Bühne kam und seine elektronische Knarzstimme loslegte, die angeblich dadurch entsteht, daß eine Computerkamera die Worte von seinen Lippen liest, gings um die M-Theorie, die alles zusammenbringt. Hawking ist Mister M, was in der Wissenschaftssprache Englisch für magic, mystery & matrix steht.

Er geht davon aus, daß sich das Universum ständig ausdehnt. Was hinter der Grenze ist, weiß auch er (noch) nicht, vielleicht ist es wie in der Truman-Show. Durch die Inflation der Galaxien,vergrößert sich der Abstand der Sterne, die Distanz R. Die Weltformel lautet also: Pi mal Daumen, geteilt durch R hoch 2. Oder wie Hawking mit Skakespeare meinte: Das Universum paßt in eine Nußschale und ist gleichzeitig unendlich. Merkwürdig.

Hawking: Wenn alles nichts hilft, müssen wir davon ausgehen, daß Gott mit uns Würfel gespielt hat