Vergangenheitsbewältigung à la Adenauer

betr.: Berichterstattung zum 20. Juli

Zuerst waren die Opfer Täter. Ihr Opfergang war die logische Folge ihrer eigenen Taten. Eine Frage von Schuld und Sühne? Der eigenen Karriere zuliebe traten sie mit ihren Stiefeln Völker- und Menschenrechte in Grund und Boden. Sie waren zu lange willige Helfer bei Hitlers Vernichtungskrieg, an dessen Ende 50 Millionen Tote in Europa Deutschland anklagen, um sie von Schuld freisprechen zu können – auch nicht die Männer vom 20. Juli. Sie standen in einer festgefügten Traditionslinie, die nahtlos vom Kaiserreich, über Freikorps, der Reichswehr bis hin zur Wehrmacht reichte. Es gibt deutliche Hinweise genug, daß sie auch in der Bundeswehr noch vorhanden ist.

Die Attentäter waren Offiziere einer Wehrmacht, die bereits 1936 spanische Städte von den Stukas der Legion Condor kalten Herzens pulverisieren ließen und Tausende von toten Zivilisten in Kauf nahmen.

Hier begann die für jeden erkennbare blutige Spur durch Europa, die Hitler nur legen konnte, weil er das Offizierskorps auf seiner Seite wußte. Gemeinsam feierten sie ihre Blitzsiege. Beförderungen, Orden und Ehrenzeichen wurden dankbar aus der Hand ihres Führers entgegengenommen. Wo gab es ernstzunehmenden Widerstand?

Erst als den größten Feldherrn aller Zeiten das Kriegsglück verließ, entschloß sich 1944 eine kleine Schar früherer Mittäter zum Putsch gegen Hitler, die nicht mit ihm untergehen wollte. Es waren nicht nur patriotische Motive, die zum mißglückten Aufstand führten, sondern auch eigennützige. Neue Karrieren hatten die Putschisten nach Hitler schon eingeplant, Ministerposten schon verteilt.

Adenauer glorifizierte die Gescheiterten, weil er der Welt bei seinen Wiederaufrüstungsbemühungen beweisen wollte, daß es auch in Nazideutschland ehrenwerte Offiziere gegeben hat, mit denen sich eine neue Streitmacht aufbauen ließ. Die Mittäterschaft der Attentäter im Tausendjährigen Reich wurde ein Tabuthema. Vergangenheitsbewältigung à la Adenauer. Neuer Heldengedenktag wurde der 20. Juli.

Hans Kloep, Bergisch Gladbach

Was zeigte sich nicht alles bei der Gedenkfeier zum 20. Juli im Berliner Bendlerblock über unsere Politik und Gesellschaft? Auf der einen Seite war der Auftritt von Angelika Beer (Grüne) symptomatisch für die Politik in Deutschland im allgemeinen und die der Grünen im speziellen. [...] Symptomatisch war die Gedenkfeier aber auch wegen der dort wiederauftauchenden bundesdeutschen Mythen: Vom „Widerstand“ des 20. Juli führt der Weg direkt zur bundesdeutschen demokratischen Verfassung, meinte Verteidigungsminister Rudolf Scharping allen Ernstes. Den meisten Menschen, die wir heute zum sogenannten „Widerstand“ zählen, lag die Demokratie ferner als das Nazi-Regime selbst. Insofern ist die Gleichung Widerstand gleich Demokratie ein bewußt produzierter Mythos.

Am auffälligsten wird dies an der Person Heinrich Himmlers. Dieser Heinrich Himmler, der Organisator des Holocaust, war es, der auch von den Attentatsplänen vom 20. Juli wußte und mit der SS den Staatsstreich bis zu seinem Scheitern schützte (nachzulesen in der Publikation der Bundeszentrale für politische Bildung: Dieter Ehlers, „Technik und Moral einer Verschwörung“, Bonn 1964). Teile der Verschwörung hatten versucht, Himmler für den Staatsstreich zu gewinnen. Auch Fritz Graf von der Schulenburg hatte Beziehungen zur SS aufgenommen, es gab die Vorstellung, mit den „aufgeschlossenen Kreisen der SS“ zusammenzuarbeiten und ein „Übergangskabinett Göring“ nach dem Tode Hitlers zu bilden. Himmler und Teile der SS wollten Deutschland das Ärgste ersparen, sich selbst schützen oder gar politischen Profit aus einem geglückten Attentat ziehen. Da verwundert es nicht, daß Hedwig Meier in ihrem 1966 erschienenen Artikel „Die SS und der 20. Juli 1944“ zu dem Ergebnis kommt, „daß die Verschwörer des 20. Juli in gewisser Weise Werkzeug in der Hand der SS waren“. Es bleibt letztlich bei so viel „Widerstand“ die Frage, ob nicht auch Heinrich Himmler als Widerstandskämpfer in Zukunft mitgeehrt werden sollte?

Wer vom „Widerstand“ des 20. Juli spricht, muß letztlich auch von Arthur Nebe sprechen, der auf Grund seiner Beteiligung am 20. Juli hingerichtet wurde. Der „Widerstandskämpfer“ Nebe war der erste, der Techniken des Massenmords wie Tötungen durch Sprengstoff oder durch Lkw-Abgase in geschlossenen Räumen entwickeln und experimentell durchführen ließ. Und solche Leute sollen die Vorbilder der Bundeswehr sein, Herr Scharping? Sönke Zankel, Kiel

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