Heiße Anwärter für den Unter-Klub

■  Die britischen Sprinter Jason Gardener, Dwain Chambers und Darren Campbell zeigen bei der WM-Qualifikation in Birmingham, daß sie auf dem Sprung zur Weltklasse sind

Birmingham (taz) – Darren Campbell ist wieder nicht reingekommen in den Unter-Klub. Der Eintritt ist noch immer ziemlich exklusiv, und Campbell (25) war am Samstag einfach deutlich zu spät; genau gesagt um 0,19 Sekunden. 10,18 Sekunden brauchte der amtierende Europameister bei der Weltmeisterschafts-Qualifikation der britischen Leichtathleten in Birmingham für die 100 Meter, abermals vertagt ist die Mitgliedschaft im elitären Zirkel seiner Branche – dem Unter-Klub (Sub-Club auf englisch), wie die Sprinter ihre inoffizielle Bruderschaft aller Unter-zehn- Sekunden-Läufer nennen.

Campbell – Bestzeit 10,04 – tröstete sich damit, daß er immer erst zum Saisonende hin Höchstform erreiche. Im Vergleich zum Juli des Vorjahres sei er diesmal schon besser in Schuß. Das mag so sein, nur sieht es dieses Jahr schlechter aus. Denn im eigenen Land ist die Konkurrenz links und rechts an ihm vorbeigezogen. Jason Gardener (10,02 Sekunden) und Dwain Chambers (10,07) lagen bei der WM-Ausscheidung vor ihm. Beide sind zudem in der Geheimsprache des Unter-Klubs bereits „Drei-Ziffern-Männer“: Gardener (23) lief Anfang des Monats in Lausanne 9,98 Sekunden, Chambers (21) im Juni in Nürnberg 9,99; zum erstenmal hatte ihr Resultat drei statt vier Ziffern – und auf einmal gibt es in Europa wieder Weltklassesprinter.

Ein Jahrzehnt lang lief der Londoner Linford Christie als einziger Europäer mit Amerikanern und Afrikanern auf einer Höhe, nach seinem Rücktritt 1997 schien der Sprint auf dem alten Kontinent eine tote Disziplin. Dementsprechend groß ist die Aufregung nun. „Die Briten kommen“, schrieb die sonst eher zurückhaltende Londoner Tageszeitung Guardian, und selbst die New York Times schickte ihren Mann nach Birmingham, um über Gardener, Chambers und Campbell zu berichten; die neuen Europäer – die wie Christie alle jamaikanische Eltern haben.

Christie. Am liebsten würde er auch jetzt mit 39 noch laufen, aber im vergangenen Winter hat er endgültig eingesehen, daß diese Jungen zu schnell für ihn sind. Nun gefällt er sich darin, den Godfather des britischen Sprints zu spielen. Campbell wird von ihm trainiert, Chambers von seiner PR-Firma Nuff Respect vermarktet. Da entsteht des öfteren der Eindruck, Christie sei für den frischen Boom verantwortlich. Dabei legen Chambers und vor allem Gardener freundlich, aber bestimmt Wert darauf, sportlich ihren eigenen Weg zu gehen. Entkommen können sie Christie allerdings nicht, so schnell sie auch laufen. Immer wieder werden sie mit ihm verglichen, an einem Tag gelten sie als „neuer Christie“, am nächsten lesen sie, so groß wie der Große werden sie wohl doch nie. Es nervt ein bißchen. „Christie ist tot und begraben“, sagt Chambers' Trainer, Mike McFarlane, „du verstehst, was ich meine?“

Dabei sind Gardener und Chambers die ersten, die zugeben, daß sie bisher bloß einen zarten Schritt in den Unter-Klub gesetzt haben, wo Christie Stammgast war. „Teufel, natürlich geht es nicht so: Du läufst einmal 9,99 und bist wer“, ruft Trainer McFarlane, „Beständigkeit zählt.“ Im Moment glauben die meisten Fachleute – einschließlich Weltrekordler Maurice Greene – Gardener, der eine ungewöhnlich schmale Figur und einen außergewöhnlich schönen Laufstil hat, werde die schnellste Karriere machen. Er beschleunigt am besten, wie sein Hallen-Europarekord über 60 Meter (6,46 sek.) aus dem Februar belegt.

Zuvor hatte man zwei, drei Jahre kaum etwas von ihm gehört, und der Grund sollte ein paar anderen Sprintern zu denken geben: Kreatin. Das umstrittene, aber nicht verbotene Präparat halten viele Athleten für eine Art Zaubertrank; Gardener schluckte es auch und holte sich ständig Verletzungen, vor allem Muskelverhärtungen. Bis er Kreatin absetzte.

Ronald Reng