■ Indonesien: Die Ergebnisse der ersten freien Wahlen seit 44 Jahren verhelfen ausgerechnet dem Militär zu einer Schlüsselrolle
: Langer Weg zur Demokratie

Sollte nicht noch in letzter Minute etwas dazwischen kommen, dann werden heute in Jakarta die offiziellen Ergebnisse der indonesischen Parlamentswahlen vom 7. Juni bekanntgegeben. Die Abstimmung im viertbevölkerungsreichsten Land der Welt hat die oppositionelle „Demokratische Partei des Kampfes“ von Megawati Sukarnoputri eindeutig gewonnen.

Die Partei der Tochter des Staatsgründers Sukarno erhielt 33,7 Prozent der Stimmen. Zweite wurde die bisherige Regierungspartei Golkar von Präsident B. J. Habibie, die zum Machtapparat des im Mai 1998 gestürzten Suharto-Regimes gehörte. Golkar erhielt nur noch 22,4 statt über 70 Prozent bei den letzten „Wahlen“ 1997. Dritte wurde die PKB-Partei des weltlichen Muslimführers Abdurrahman Wahid mit 13 Prozent, vierte die frühere islamische Blockpartei PPP mit 11 Prozent und fünfte die PAN des intellektuellen Muslimführers Amien Rais mit sieben Prozent der Stimmen.

Mit Ausnahme der nach Unabhängigkeit strebenden Provinz Aceh verliefen der Urnengang und der gesamte Wahlkampf viel friedlicher, als dies angesichts der in Indonesien immer wieder ausbrechenden Gewalt zu befürchten war. Zu denken gibt hingegen die wochenlange Dauer der Stimmenauszählung. Die Bekanntgabe der Ergebnisse wurde dreimal verschoben. Das lag weniger an den zahlreichen Unregelmäßigkeiten als an der Unerfahrenheit von Behörden und Wahlhelfern, dem großen logistischen Aufwand und dem komplizierten Zählverfahren.

Internationale Beobachter bescheinigen den Wahlen im Archipel mit 6.000 bewohnten Inseln und 320.000 Wahllokalen trotzdem einen weitgehend fairen Verlauf. Obwohl keine der Parteien eine Mehrheit für sich reklamieren kann, ist die Botschaft der Wähler im größten muslimischen Land der Welt eindeutig: Die sogenannten Reformparteien von Megawati, Wahid und Rais bekamen zusammen die Mehrheit der Stimmen und damit den Auftrag, die bisherige Regierung von Präsident Habibie abzulösen – und echte demokratische Reformen voranzutreiben.

Doch ob es dazu wirklich kommt, ist so unsicher wie die Frage, ob Wahlsiegerin Megawati im November Präsidentin wird. Trotz des eindeutigen Wählervotums sieht der Kampf um die Präsidentschaft nach einem Kopf-an-Kopf-Rennen zwischen Megawati und Habibie aus. Mindestens vier Faktoren gefährden momentan die entschlossene Fortsetzung demokratischer Reformen und sorgen für große Unsicherheit in der indonesischen Politik:

1. Die drei führenden Reformparteien sind sich nicht einig. Megawati, Wahid und Rais haben zwar vor der Wahl ein lockeres Bündnis gebildet. Doch dies geschah mehr auf äußeren Druck als aus innerer Überzeugung.

Alle drei hegen jeweils selbst Ambitionen auf das Präsidentenamt, gebärden sich wie Primadonnen, beargwöhnen sich gegenseitig und scheinen zu einer verbindlichen Koalition mit klaren Absprachen nicht in der Lage zu sein. Die Äußerungen der vergangenen Tage lassen erkennen, daß die drei schon jetzt stark taktieren. Insbesondere Amien Rais versucht, sich alle möglichen politischen Optionen offenzuhalten.

2. Das im vergangenen November reformierte Wahlsystem bevorzugt die Parteien, die auf den „äußeren“ Inseln stark sind. Dort, wo Golkar seine Hochburgen hat, werden proportional weniger Stimmen für einen Parlamentssitz benötigt als auf der Hauptinsel Java, wo Megawatis Partei stark ist.

Habibies Golkar hat also proportional mehr Sitze als Wählerstimmen und versucht, zusammen mit kleineren islamischen Parteien, die sich gegen eine Frau als Präsidentin ausgesprochen haben, ein Bündnis gegen Megawati zu schmieden. Golkar setzt dabei insbesondere auf die islamische Karte. Das könnte sich zu einem Spiel mit dem Feuer entwickeln.

3. Über die Besetzung des übermächtigen Präsidentenamts entscheidet im November die sogenannte Beratende Volksversammlung. Sie besteht außer aus dem Parlament (462 gewählte Abgeordnete und 38 Vertreter des Militärs) aus weiteren 200 Repräsentanten. Von denen werden 165 von den Provinzparlamenten und 35 von Berufsverbänden und religiösen Gruppen entsandt.

Demnächst dürfte nichts unversucht bleiben, um auf die eine oder andere Art Stimmen zu „kaufen“. Um dies zu verhindern, werden schon jetzt Forderungen laut, die Abstimmung nicht geheim durchzuführen, was ein Grundelement parlamentarischer Demokratie ist. Auf jeden Fall könnte dieser Teil der Präsidentschaftswahl anders ausgehen als das Votum der Bevölkerung bei der Parlamentswahl.

4. Das Militär könnte zum Zünglein an der Waage werden. Die Generäle zählen mit ihren 38 ungewählten Vertretern im Parlament mehr Abgeordnete als die Partei von Amien Rais. In der Beratenden Volksversammlung kommen noch weitere Militärs aus den Provinzen hinzu.

Bisher hat das Militär keine Präferenzen erkennen lassen. Armeechef Wiranto hat selbst starke politische Ambitionen und gilt als möglicher Vizepräsident sowohl für Habibie als auch Megawati. Als solcher hätte er allerdings weniger Macht als in seiner jetzigen Doppelfunktion als Verteidigungsminister und Generalstabschef.

Voraussichtlich wird sich das Militär auf die stärkere Seite schlagen und dann für die Unterstützung von der neuen Präsidentin oder dem Präsidenten Gegenleistungen verlangen. Es ist eine Ironie, daß die freiesten Wahlen seit 44 Jahren ausgerechnet den Generälen die Rolle der Königsmacher bescheren. Denn das Militär war 32 Jahre lang das wichtigste Herrschaftsinstrument Suhartos.

Es zeigt sich, wie recht die Studenten hatten, deren Proteste noch im Herbst zusammengeschossen wurden, als sie gegen die halbherzige Wahlrechtsreform demonstrierten. Denn diese reduzierte die Zahl der Sitze des Militärs im Parlament, aber schaffte sie nicht ab. Nun könnte das Militär versucht sein, Habibie im Amt zu halten und damit den Reformprozeß bis zum Schneckentempo zu drosseln.

Doch dies birgt das Risiko neuer Unruhen. Viel vorteilhafter für die Generäle wäre es, Megawati ins Präsidentenamt zu heben. Damit könnten sie sich einen reformorientierten Anstrich geben und in Megawatis Regierung selbst dafür sorgen, daß die Macht des Militärs nicht beschnitten wird. Dabei könnte den Generälen das Beispiel der früheren philippinischen Präsidentin Corazon Aquino vorschweben.

Zwischen Megawati und Aquino gibt es ohnehin Analogien. Beide eint, daß sie ihre Popularität anderen verdanken und sich als Opfer eines Diktators zu dessen weiblichen Gegenspielern entwickelten. So diffus wie Megawati stand auch Aquino für Demokratie. Ihre Macht verdankte sie nicht nur einem Volksaufstand, sondern auch einem Putsch von Teilen des Militärs. Diese Mitgift verhinderte eine Aufarbeitung der Verbrechen der Armee und diente als permanentes Druckmittel, um ungeliebte Reformen zu verhindern.

Ähnliches droht Indonesien unter einer vom Militär gekürten Präsidentin Megawati. Die Politikerin, die jegliches Programm vermissen läßt, ist ohnehin keine treibende Kraft der Reformbewegung. Vielmehr vermeidet sie es, klar Position zu beziehen. Als Studenten kürzlich einen „Suharto-Preis“ auslobten, folgte sie hinter Habibie und zwei Ministern bereits auf Rang vier. Die Studenten machen sich keine Illusionen. Es wird auch künftig starker Druck aus der Bevölkerung nötig sein, damit die Reformen nicht steckenbleiben. Auch das Ausland sollte seine Hilfe an klare Reformschritte knüpfen.

Morgen trifft sich in Paris die Indonesien-Beratungsgruppe, ein seit 1970 bestehendes internationales Entwicklungshilfegremium. Laut Weltbank kann Jakarta für nächstes Jahr mit Krediten von bis zu 6 Milliarden Dollar rechnen. Angesichts der weitverbreiteten Korruption unter Suharto und der nur halbherzigen Aufarbeitung unter Habibie sollten Kredite künftig an strengere Bedingungen geknüpft werden.

Schon jetzt gibt es Klagen, daß Gelder aus einem Sozialfonds der Weltbank unter Habibie für proindonesische Milizen im annektierten Ost-Timor und für Stimmenkauf im Wahlkampf zweckentfremdet wurden. Statt ein korruptes Regime zu unterstützen, sollten auch bilaterale Kredite zum Beispiel aus Deutschland den demokratischen Wandel fördern. Denn trotz friedlicher Wahlen ist Indonesien noch weit davon entfernt, die drittgrößte Demokratie der Welt zu sein. Sven Hansen

Trotz des eindeutigen Wählervotums steht ein Kopf-an-Kopf-Rennen bevorStatt des Regimes sollte der demokratische Wandel unterstützt werden