Wir wollen Marketingschweine

Warum darf Günther seinen Vater hassen und brüllend auf das Kissen einschlagen? Die „Totale Therapie“, eine Psycho-Burleske von Christian Frosch mit Blixa Bargeld und Sophie Rois in den Hauptrollen  ■   Von Philip Bühler

Die dänischen Dogmafilmer haben vorgemacht, wie sich mittels cleveren Marketings auch gewagte Billigproduktionen an ein Massenpublikum verkaufen lassen. Doch was tun, wenn man auf hochtrabende Erklärungen verzichten will und keinen großen Namen vorzuweisen hat? „Ohne den Namen Lars von Trier hätten die das nie geschafft“, glaubt Christian Frosch, Absolvent der Deutschen Film- und Fernsehakademie Berlin und Regisseur der wilden Psycho-Burleske „Die totale Therapie“, die eigentlich im Herbst in den deutschen Kinos anlaufen soll. Sein Dilemma: Obwohl der Film in Österreich und Holland bereits mit Erfolg in Programmkinos und auf Festivals lief, findet sich in Deutschland kein Verleih. Aber Frosch braucht nicht zu verzagen. Eine Gruppe eifriger Studenten der Hochschule der Künste in Berlin hat sich in seinen reichlich schrägen Film verliebt und ersinnt nun seit Monaten Vermarktungsstrategien, um die risikoscheue Verleihbranche einer totalen Therapie zu unterziehen. In eigener Verantwortung, aber betreut von Professoren und finanziell unterstützt von der Wiener Produktionsfirma Prismafilm wurden Interviews geführt, ein Fragebogen entwickelt und Einladungen verschickt. Nun tingelt der Film durch die deutschen Großstädte. Am Sonntag fand eine inoffizielle, aber gutbesuchte Vorführung in Berlin statt, demnächst sind Köln und Hamburg dran. Führt die „Kommunikationskampagne“ zum Erfolg, haben alle Seiten etwas davon. Denn für die Studenten ist es allemal wertvoller, sich praktische Erfahrung anzueignen, als wie sonst üblich virtuelle Schokoriegel zu bewerben, sagt Arne Grahm von der HdK.

Auf einem Filmfestival in Österreich hat er „Die totale Therapie“ entdeckt. Die Aufgabe, den zweistündigen Film in die Kinos zu bringen, ist nicht unlösbar, aber schwer. Die Namen Blixa Bargeld und Sophie Rois sorgen immerhin für einen gewissen Kultwert. Die Fragebogenaktion soll unter anderem ermitteln, ob bei der Vermarktung auf diese Szenegrößen zu setzen ist oder ob man sich eher die Verwandtschaft zum Dogma auf die Fahnen schreibt.

Christian Frosch wäre es lieber, darauf verzichten zu können. Schließlich kann es weh tun, auf fahrende Züge zu springen. Doch der hinkende Vergleich wird sich einstellen, denn für die Eröffnung seines Dramas wählt Frosch die dänische Variante.

In einem geschlossenen System, dem Therapiezentrum des zwielichtigen Dr. Roman Romero (Blixa Bargeld), versammeln sich zehn sozialgeschädigte Existenzen, um ihre Psychosen auszuleben. Daß die gängigen Methoden von Gestalt- und Verhaltenstherapie hier in der Gruppe angewandt werden, erweist sich als verheerend. Warum darf Günther seinen Vater hassen und dabei brüllend auf ein Kissen einschlagen, während Romero dasselbe bei Wolfgang „gar nicht originell“ findet?

Mord und Totschlag sind unausweichlich, und mit dem ersten Opfer, Romero selbst, beginnt in der Idylle der österreichischen Alpen ein Countdown nach Art der Reise nach Jerusalem, wenn sich Christian Frosch auch lieber auf den „Herr der Fliegen“ beruft. Einige Male droht in diesem Irrsinn die Zynismusfalle zuzuschnappen, doch die Nöte der Charaktere, verklemmte Psychopathen, verkrachte Eheleute und selbstversessene Karrieristen, werden nicht einfach ausgebeutet. Das verdankt sich dem – sieht man mal von den beiden Prominenten ab – ernsthaften Spiel der Darsteller. Jeden von denen, die sich in ständig wechselnden Fehden zusammenfinden, kann man mal lieben, mal hassen und dann wieder bedauern.

Nichts also, was ein großes Publikum nicht interessieren sollte. Leichter wäre die Sache für Frosch und seine Helfer von der HdK allerdings, hätte er das Geld für „Die totale Therapie“ wie geplant von der deutschen Filmförderung und nicht aus seiner Exheimat Österreich erhalten. Mit dem ursprünglichen Schauplatz, einer Nordseeinsel, ließe sich der Film hierzulande leichter verkaufen. Bis ein Verleih anbeißt, bleibt also ungewiß, was die Studenten bei ihrer Projektpräsentation im November vorweisen können. Diese Zeit wollen sie nutzen, um noch weitere Forschungsarbeit zu leisten, wie das in den USA auf professioneller Ebene ohnehin üblich ist. Muß man den Titel ändern, welche Zielgruppe spricht man an, und muß man vielleicht neu schneiden? „Wenn das klappt, sind wir richtige Marketingschweine“, freut sich Arne Grahm. Weil „Die totale Therapie“ ein überzeugendes Produkt mit starkem Preis-Leistungs-Verhältnis ist, werden wir ihm das dann auch nicht übelnehmen.