Das Portrait
: Der große Unbekannte

■ Mohammed VI.

Modern, offen, demokratisch gesinnt: Das ist der Ruf, der dem neuen König Marokkos, Mohammed VI., vorauseilt. Ein Ruf, der sich mehr auf die Intuition der Beobachter des alevitischen Herrscherhauses als auf Fakten stützt. Sidi Mohammed, der am vergangenen Freitag nach dem Tod seines Vaters Hassan II. den Thron bestieg, ist der große Unbekannte.

Der 35jährige Zweitgeborene des verstorbenen Monarchen gab bisher kaum Interviews. Öffentliche Aufgaben übernahm er nur in Ausnahmefällen. So trat er vor vier Jahren vor der UNO auf, nachdem Hassan II. überraschend in ein New Yorker Krankenhaus eingeliefert wurde. In Marokko selbst beschränkte er sich auf das Nötigste. Vor zwei Jahren stand er einem Seminar in Casablanca vor. Das Thema: der Übergang Spaniens von der Franco-Diktatur zur Demokratie. Seither sehen viele in ihm eine Art marokkanischen Juan Carlos.

Bar jeder Verantwortung genoß der Junggeselle Sidi Mohammed das mediterrane Leben. In Rabat und Casablanca ist er für seine Ausflüge auf dem Wassermotorrad entlang öffentlicher Strände bekannt. Aber auch dafür, daß er in seinen Sportlimousinen an der roten Ampel hält. Auch das untermauerte den Ruf des Demokraten.

Nach der Grundschule besuchte Mohammed VI. eines der Elitegymnasien in Rabat. An der Universität in Nizza machte er den Doktor in Jura. Anschließend schickte ihn sein Vater zur UNO in New York und zur EU-Kommission in Brüssel. „Ruhig, fast schüchtern“, lautet das Urteil derer, die dort mit ihm zusammenarbeiteten.

Sein ruhiges Wesen, seine fast schon weiblichen Gesichtszüge gaben in Marokko immer wieder Anlaß zu Spekulationen über fehlende Führungsqualitäten. So zumindest bis zum Tod seines Vaters. Jetzt sitzt Mohammed auf dem Thron und ist nicht nur Staatschef, sondern auch „Herr aller Gläubigen“. Soviel Autorität läßt Kritik verstummen. Kein Detail entgeht den Untertanen, die gewöhnt sind, zwischen den Zeilen zu lesen. Mohammed VI. ließ sich bei seiner Amtseinführung von den Vertretern der weltlichen und religiösen Macht nur die Schultern küssen und nicht wie sein Vater Handfläche und –rücken. Auch das werten viele als Zeichen für den Aufbruch in eine demokratische Monarchie.

Reiner Wandler