Mit Gott und Bolivar für Venezuela

■ Der frühere Putschist Hugo Chávez gewinnt die Wahl zur Verfassunggebenden Versammlung in Venezuela erdrutschartig

Buenos Aires (taz) – Venezuelas Präsident Hugo Chávez genießt den Augenblick. Vom Balkon des Regierungspalastes in Caracas, dem „Balkon des Volkes“, blickt er auf seine Anhänger nieder und feiert seine Untertanen. „Wie großartig ist das Volk von Venezuela“, schwärmt er. Seine Kandidaten haben bei den Wahlen zur Verfassunggebenden Versammlung einen Erdrutschsieg errungen: 90 Prozent aller Wähler haben ihr Kreuz bei den von Chávez unterstützten Kandidaten gemacht – trotz aller Anfeindungen der traditionellen politischen Klasse Venezuelas.

Auf 119 von 128 Sitzen der Verfassunggebenden Versammlung werden Gefolgsleute von Chávez Platz nehmen. Darunter viele, die bislang in der venezolanischen Politik wenig zu sagen hatten: Krankenschwestern, Schriftsteller und Vertreter der indigenen Bevölkerung. Innerhalb von 180 Tagen müssen sie jetzt eine neue Verfassung für Venezuela ausarbeiten, die dann 30 Tage später in einer Volksabstimmung mit einfacher Mehrheit bestätigt werden muß. Vor Chávez wechselten sich 40 Jahre lang die sozialdemokratische Demokratische Aktion (AD) und die christsoziale Coppei-Partei in der Regierung ab.

Die Reform der Verfassung war ein kluger Schachzug von Chávez, um beide Parteien zu entmachten. Im Kongreß haben seine Anhänger nur knapp 23 Prozent der Stimmen, jetzt kann sich Chávez eine Verfassung nach seinem Wunsch zimmern lassen. Seine Gegner werfen ihm vor, mit der Einberufung der Versammlung einen Putsch vorzubereiten, da er jetzt das Parlament und andere Verfassungsorgane auflösen kann. „Wie viele andere Staatsoberhäupter, die wir leider hatten, will Chávez seine Macht verewigen und in seinen Händen fast unbegrenzte Entscheidungsbefugnis halten“, sagt der ehemalige Präsident Carlos Andrés Pérez, einer der wenigen klassischen Politiker, die sich bei der Verfassunggebenden Versammlung zur Wahl gestellt haben.

Nur knapp die Hälfte aller Wahlberechtigten ging auch am Sonntag tatsächlich wählen, die Wahlbeteiligung lag bei etwa 50 Prozent. Jorge Olavarria, Historiker und Kandidat der Opposition, zweifelt daher die Legitimität der Wahl an: „Die Verfassunggebende Versammlung wurde von weniger Wählern gewählt als der Kongreß.“ Bei den Wahlen zum Kongreß lag die Wahlbeteiligung noch bei 60 Prozent. „Ich werde es nicht zulassen, daß Venezuela ein militaristisches Regime mit einem billigen Populismus untergeschoben wird“, kündigte Olavarria an.

Chávez versucht die Wogen zu glätten. „Hier wird es keinen Krieg geben, sondern eine Konfrontation der Ideen“, kündigte er an und verspracht: „Heute wird ein neues Venezuela geboren, in dem es mehr soziale Sicherheit geben wird und alle Venozelaner das Recht haben werden auf eine Wohnung, Erziehung und Gesundheit.“ Chávez sammelt seine Stimmen vor allem in den Elendsvierteln der Städte. Seitdem der Ölpreis auf ein Rekordtief gefallen ist, steckt Venezuela in einer schweren Krise. Das Land ist der wichtigste Öllieferant der USA. Derzeit liegt die Arbeitslosenrate offiziell bei fast 20 Prozent, die Mehrheit der 23 Millionen Venezolaner lebt in Armut. Chávez' Held ist der Befreier vom Kolonialismus, Simon Bolivar. Er sieht sich als Streiter der „bolivarischen Revolution, die pazifistisch und demokratisch ist“. In der Verfassung will er seinen Helden daher auch in den Staatsnamen aufnehmen. Ingo Malcher

„Ich werde nicht zulassen, daß Venezuela ein militaristisches Regime mit billigem Populismus untergeschoben wird“