piwik no script img

Finsternis über Süddeutschland

Am 11. August wird es in Süddeutschland zur Mittagszeit schlagartig dunkel. Für zwei Minuten wird der Mond die Sonne vollständig verdecken. Die letzte totale Sonnenfinsternis in diesem Jahrtausend  ■   Von Wolfgang Löhr

Der Countdown läuft. Noch vierzehn Tage bis zu dem „Jahrhundertereignis“ – zumindest für Deutschland. Für zwei Minuten wird am 11. August in einem hundert Kilometer breiten Streifen im Süden Deutschlands die Sonnenscheibe vollständig hinter dem Mond verschwinden. Zur Mittagsstunde wird Abenddämmerung aufziehen. Zwar ist auch in anderen Regionen die Sonnenfinsternis zu beobachten, aber nur in diesem schmalen Korridor mit den Städten Karlsruhe, Stuttgart, Ulm, Augsburg und München wird die Finsternis total sein.

„Sofi 99“ ist die letzte totale Sonnenfinsternis in diesem Jahrtausend. In Deutschland ist es sogar die einzige totale Sonnenfinsternis in diesem Jahrhundert – die letzte liegt 112 Jahre zurück. Und das nächste Mal, daß der Kernschatten des Mondes hierzulande den Himmel wieder verdunkelt, wird erst im Jahre 2151 sein.

Die betroffenen Regionen fiebern bereits seit Wochen dem Naturschauspiel entgegen. Hunderttausende Besucher werden erwartet. Jede größere Stadt in der Schattenzone setzt auf das seltene Himmelsspektakel, um Touristen und Hobbyastronomen anzulokken. „Ein Mittwoch, den keiner so schnell vergessen wird: Hunde kriechen winselnd unters Sofa, draußen in der Natur herrscht Totenstille, den Menschen läuft es eiskalt über den Rücken“, weiß das Wochenmagzin Focus schon im voraus zu berichten.

Genau um 11.31 Uhr, Mitteleuropäischer Sommerzeit, fernab jeder bewohnten Siedlung, beginnt das Millenniumereignis. Im Nordatlantik, 300 Kilometer südlich von Neuschottland, wird der Kernschatten des Mondes erstmals die Erde berühren. Der ellipsenförmige Schatten wird mit über 2.000 Stundenkilometern den Atlantik überqueren, und kurz nach zwölf die britische Halbinsel Cornwall streifen. Gegen halb eins überschreitet er dann im Saarland die deutsche Grenze. Zwölf Minuten später wird er Österreich erreicht haben und über Ungarn,Türkei und Indien dann im Bengalischen Golf wieder verschwinden.

Für das Auftreten einer totalen Sonnenfinsternis müssen mehrere Bedingungen erfüllt sein. Erstens: Es muß Neumond sein. Der Mond steht zwischen Erde und Sonne. Zweitens: Der Mond muß genau in der Bahnebene der Sonne stehen. Daß es nicht bei jedem Mondumlauf auf der Erde zu einer Sonnenfinsternis kommt, liegt an den unterschiedlichen Bahnebenen von Mond und Sonne. Sie sind um fünf Grad zueinander verschoben. Meist fällt der Mondschatten an der Erde vorbei ins Weltall. Eine Sonnenfinsternis, von den Wissenschaftlern auch Eklipse genannt, ist deshalb nur möglich, wenn ein Neumond auf die wandernden Schnittpunkte der beiden Bahnen fällt. Aus diesem Grund finden Sonnenfinsternisse nicht nur in verschiedenen Erdregionen statt, auch die Länge der totalen Finsternis ist je nach Ort unterschiedlich lang. Bis zu sieben Minuten kann die Sonne hinter dem Mond verschwunden bleiben.

Letztlich ist es aber einem astromomischen Zufall zu verdanken, daß der relativ kleine Erdtrabant das mit einem Durchmesser von 1.392.00 Kilometern rund 400mal größere Tagesgestirn fast paßgenau verschwinden lassen kann. Wäre der Mond nur ein bißchen kleiner oder noch weiter von der Erde entfernt, dann könnte er die Sonnenscheibe niemals vollständig bedecken. Da sowohl die Sonnen- als auch die Mondbahn nicht kreisförmig sind, sondern die Form einer Ellipse haben, sind die Bedingungen für eine Sonnenfinsternis nicht immer so ideal wie am 11. August. Steht der Mond zum Zeitpunkt der Finsternis auf einem von der Erde weiter entfernteren Punkt der elliptischen Bahn, so kann er die Sonne nicht komplett verdecken. Nur ein schmaler strahlender Sonnenring ist dann am Himmel zu sehen.

„Heute ist die Sonnenfinsternis vor allem ein Ereignis für die Hobbyastronomen“, erläutert Martin Neumann vom Max-Planck-Institut für Astronomie in Freiburg. Wissenschaftler, die die Geheimnisse der Sonne erforschen wollen, sind auf das seltene Schauspiel nicht mehr angewiesen. „Für sie ist es nur noch insofern interessant, daß die Gelegenheit besteht, die äußeren Teile der Sonnenatmosphäre, zum Beispiel die Korona oder die Protuberanzen“, so Neumann, „von der Erde aus zu sehen, ohne größere Spezialgeräte dabei anwenden zu müssen.“ Dank zahlreicher Satelliten und spezieller Teleskope, mit denen eine Finsternis nachgebildet werden kann, gehören die bei einer Sonnenfinsternis beobachtbaren Phänomene beinahe zum Alltag der Forscher.

Das war nicht immer so. Wichtige Erkenntnisse über die Sonne konnten zu früheren Zeiten nur während einer totalen Sonnenfinsternis gewonnen werden. So sind zum Beispiel die als Protuberanzen bezeichneten, von der Sonne ausgehenden „Flammenzungen“ nur bei einer Finsternis zu sehen: Rotglühende Gasformationen, die von der Sonne weggeschleudert werden und noch weit im Weltall zu sehen sehen sind. Erst seit der Sonnenfinsternis von 1860 wissen die Himmelsforscher, daß sie zu der Sonnenatmosphäre gehören und nicht auf eine Täuschung zurückzuführen sind. 1968 konnten dann die Tuberanzen auch erstmals mittels eines Spektroskops außerhalb einer totalen Sonnenfinsternis beobachtet werden.

Diese Feuerzungen werden auch im August zu sehen sein, Voraussetzung ist jedoch, daß das Wetter mitspielt. Die Wahrscheinlichkeit, daß das Himmelsschauspiel nicht von Wolken getrübt wird, liegt bei 60 Prozent, hat der Deutsche Wetterdienst aufgrund langjähriger Daten errechnet. Wer ganz sicher gehen will, daß Jahrhundertereignis nicht durch die Unbilden der Witterung zu verpassen, der kann sich auch Flugtickets besorgen. Für rund 700 Mark können zwei Personen die Sonnenfinsternis dann aus luftiger Höhe beobachten, ein Fensterplatz wird garantiert.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen