Querspalte

■ Keine Spaltung der Bewegung

Sicherlich ist richtig, daß der Kanzler die öffentliche Debatte weitgehend beherrscht. Objektiv besteht die Gefahr, daß die soziale Basis der Partei wegrutscht, weil die Politik so sehr auf ihn zugeschnitten ist und weil eine sehr technokratische Politik betrieben wird. Im Bereich der Ökonomie scheint mir eine Politik formuliert zu werden, die nicht einmal den Ansprüchen einer Alternative einer sozialdemokratischen Politik im Kapitalismus genügt. Wenn hier Wirtschaftsförderung betrieben wird, dann nicht über Stärkung der Massenkaufkraft, sondern ganz gezielt über die Stärkung der Unternehmergewinne.

Die Partei drückt sich nach meinem Eindruck um die entscheidende Frage herum: Will sie Reformpolitik auch dann noch, wenn das zur Konsequenz hat, die überkommenen Privilegienstrukturen dieser Gesellschaft anzugehen? Bei uns werden eine Reihe sozialpolitischer Maßnahmen gekappt. Nehmen Sie einmal die Diskussion um die berühmte Zumutbarkeitsregelung – ein Schlag direkt ins Gesicht der Partei. Denn an dieser Frage, wann ich einen Arbeitslosen an einen Arbeitsplatz vermitteln darf, für den er nicht ausgebildet ist, hängen natürlich Erwartungen von nicht zu verachtenden SPD-Wählerschichten. Es besteht die Gefahr, daß die Regierung eine Politik für die Facharbeiter betreibt und jene vergißt, die einfach aus ihren Berufen herausgezogen werden. Aber die Arbeiterbewegung darf nicht gespalten werden.

Mein Vorwurf ist, daß über das brillante Verwalten des Status quo hinaus nichts geschieht. Die SPD formuliert nicht einmal die Probleme. Und der Kanzler verhindert mit seiner rigiden Art, daß weitere Perspektiven formuliert werden. Ich glaube, daß programmatische Anstöße nur aus den Provinzen kommen können. Gerhard Schröder‚/B‘* *Interview im Spiegel 13/1979 remixed von René Martens