Raum und Ränder

 ■ „Zwischen den Welten“: Die große Sommer-Reihe im Metropolis bringt den Zuschauer in die Grauzone zwischen Bekanntem und Unbekanntem Von Tobias Nagl

Forscher und Verrückte, Abenteurer und der Abschaum der alten Welt – in der Geschichte des Kinos sind sie alle immer wieder dazu aufgebrochen, den Raum von seinen Rändern her zu durchdenken und die Grenze zwischen Bekanntem und Unbekanntem zu verschieben. Als Frontier sind diese Grenzen integraler Bestandteil des amerikanischen Mythos, weil sich hier Eigenes von Fremdem scheidet, am Anderen das Selbst zum Vorschein kommt. Als Western erzählt die Mythos-Maschine Kino immer wieder von dieser Geschichte der Frontier – und daß einer eine Grenze überschreitet, bringt eine jede Geschichte in Fahrt.

Mit der Grenze und diesen Geschichten ist immer auch eine Versprechen verbunden: das des Neuen, daß der, der eine Reise tut, tatsächlich was erlebt und tatsächlich auch was zu erzählen hätte, daß das Selbst ein Anderes sein könnte. Von diesem Aufbruchsversprechen erzählt das Kino als Maschinerie des entfesselten, touristischen Schauens und der Moderne; doch immer dann, wenn es gerade das Unbekannte ins Visier genommen hat, scheinen die Kulissen zu wackeln, und Gevatter Geschichte lugt mit seinem altbekannten Gesicht um die Sperrholz-Ecke.

Von dieser Aporie, eine Sprache des Neuen nur aus den Fragmenten alter Begriffe entwickeln zu können, kündet zuallererst das Science-fiction-Kino. Wollte man etwas aus Schmockes wie Raumpatrouille Orion lernen, dann: Ein Bügeleisen ist ein Bügeleisen ist ein Bügeleisen.

Begreift man Science-fiction als Genre, wird man zwar auf eine silberne Semantik blinkender Kontrollpanels, zungenbrecherischer Zeta-Omega-Todes-Strahlen und giftgrüner Gartenzwerge stoßen, erzählerisch verbirgt sich aber immer ein anderer Film darunter: ein Western, ein Kriegsfilm, ein Thriller, beispielsweise. Die Sprache filmischer Phantastik ist eine rein visuelle, und das macht die Science-Fiction von Meliès' stummen Jules-Vernes-Verfilmungen angefangen zu einem so dankbaren kinematographischen Genre. Immer gibt es was zu gucken und zu staunen: Was dem Musical seine spektakulären Choreografien, sind der Science-Fiction ihre entfesselten Special-effects, die das Bekannte und das Unbekannte in möglichen Welten des Dazwischen versöhnen.

Ein ganz und gar historischer Möglichkeitsraum des Diskurs' der sexuellen Revolution, Liebe und Hallucination Generation tut sich in Roger Vadims psychedelischer Pop-Art-Perle Barbarella auf, in dem sich den Konventionen der erotischen Reiseerzählung gemäß Nummer an Nummer reiht, und männliche Brustbehaarung so bruchlos wie selten in den Flokati-Bodenbelag damaliger Kifferhöhlen übergeht. „Habt ihr einen Engel gesehen?“, fragt Jane Fonda, Vadims damalige Ehefrau, immer wieder in dieser in dieser vor optischen Ideen und Fonda-Fetischierung überbordenden Verfilmung der Comics Jean-Claude Forests. Eigentlich kann diese Frage aber nur sie selbst meinen, so schön ist Fonda in dieser mit einem schwerelosen Space-Striptease beginnenden Pittoreske noch heute, und ihr Auftrag als Weltraumgagentin lautet: Sieg der Liebe! Liebe heißt in Barabella und im Zeitalter des Wassermanns, der Anti-Baby-Pille und von LSD-25 natürlich freie Liebe – und Barbarellas unschuldige Orgasmusfähigkeit schafft sie alle: den Eismeer-Jäger im Yeti-Mantel, den flügellahmen Vogelmann und sogar die tödliche „Genußorgel“, die so aussieht, wie wie wir Nachgeborenen uns den Orgon-Akkumulator vorstellen. Während Fonda zur politischen Gefangenen wird und „Extrakt des Mannes“ blubbert, trippen wir mit ihr zu einem revolutionär elektronischen Score durch ein Set, das die phallische Imagination des Genres konsequent in kristallinen Bonbon-Spiegelungen und klitoralen Neo-Art-Deco-Architekturen auflöst. Im Silent Running von Special-F/X-Experten Douglas Trumball ist der Optimismus der Gegenkultur längst der Ernüchterung gewichen. Die letzten intakten Wälder des nie zu sehenden Planeten Erde treiben in gigantischen Kuppeln zu den kieksigen Sopran-Tremoli Joan Baez', dieser protestantischen Walküre der Öko-Bewegung, auf riesigen Weltraumschleppern in einer kosmischen Gartenschau durchs All. Ein einzelner Zukunft-Diogenes verweigert den Befehl zur nuklearen Sprengung dieser letzten Evolutionsagenten und tauft auf seiner folgenden Robinsonade in einem Anflug bestechender Mensch-Maschinen-Dialektik schanzen-blitz-schnell die beiden Roboter auf niedliche anthropomorphe Namen. Ironischerweise entsteht dabei zunehmend die Künstlichkeit eines Studiogarten a là The Wizard of Oz als Inbegriff der Freiheit und Kreatürlichkeit, während die Wüste in Form der unendlichen Weiten des Alls sich bereits um diese Oase schließt und zugleich ein Bild schaffen soll, von dem, was wir nach dem biologischen Kollaps zu erwarten haben.

So industriell lichtdurchflutet wie dort das All, erscheint in James Camerons Abyss die Schwerelosigkeit der Tiefsee, in die sich eine Ölbohrer-Crew um Ed Harris begibt, um nach verschollenen Atom-Sprengköpfen zu suchen. „Wenn Du lange in einen Abgrund blickst, blickt der Abgrund auch irgendwann in Dich hinein“, zitiert Cameron Nietzsche zu Beginn – und je tiefer sie sinken, desto mehr gerät dieses klaustrophobische Action-Melodram zur Allegorie der letzten aller Grenzen: Reinkarnation, das Sich-Selbst-Gebären und wechselseitige In-den-Tod-Begeben der Liebenden.

Die Reihe läuft bis Ende August im Metropolis. Infos unter Tel.: 34 23 53