Leerstand trotz Wartelisten

■ Zu wenig rollstuhlgerechter Wohnraum existiert in Bremen/ Die Mietpreise der Wohnungsgenossenschaft für Behinderte sind angemessen, findet jetzt das Gericht

Die Warteliste im Amt für Soziale Dienste ist lang: Wohnungen für Behinderte gibt es in Bremen nur ganz wenige. Bis zu zwei Jahre muß man rollstuhlgerechten Wohnraum suchen, weiß Horst Frehe vom Verein „Selbstbestimmt Leben“. Das wollte Richter Frehe vor anderthalb Jahren mit der Gründung der „Wohnungsgenossenschaft für Behinderte“ ändern: Drei barrierefreie Wohnungen hat die Genossenschaft gekauft. Hier haben Lichtschalter und Fenstergriffe die richtige Höhe. Stufen und Schwellen sind verschwunden – alles ist rollstuhlgerecht.

Aber trotz Warteschlangen steht eine der Wohnungen schon seit acht Monaten leer. Denn Förderungen vom Sozialressort gab es bislang nicht: Der Behörde waren Mietpreise in Höhe von 17 Mark pro Quadratmeter und ein Genossenschaftsanteil von 50.000 Mark zu teuer. Sozialhilfebezieher können folglich nicht einziehen. Damit sei Bremen bundesweites Schlußlicht bei der Förderung von behindertengerechten Wohnungen, weiß Frehe.

Eine erste Schlacht hat die Genossenschaft jetzt gewonnen. Gerichtlich stritt sich die Sozialhilfeempfängerin Irmtraud Olthage mit der Behörde über angemessene Mietpreise. Die Genossenschaft errechnet ihre Mietpreise mit Nebenkosten. Die Behörde stellte dem einen günstigeren Preis entgegen – allerdings ohne Nebenkosten. „Ein Mißverständnis auf Papier“, gesteht jetzt Heino Heinken vom Sozialressort. Dort sei man aus Frehes Aufstellung nicht schlau geworden: Man hatte angenommen, die Nebenkosten seien nicht enthalten und hat dementprechend selbst ohne Nebenkosten kalkuliert.

Für das Gericht ist nun erneut gerechnet worden – mit ganz anderen Ergebnissen: „Es gibt kein günstigeres Angebot“ als den Mietpreis der Wohnungsgenossenschaft so die Botschaft des Sozialressort an das Gericht. Frehes Konzept sei damit „ein Angebot, das man sich angucken muß“. Für Irmtraud Olthage ist der Fall damit klar: Sie wird in die Wohnung der Genossenschaft einziehen können.

Im Hauptverfahren allerdings müsse dann noch über die Genossenschaftsanteile verhandelt werden. 50.000 Mark Genossenschaftsanteile muß jeder Einzugswillige zeichnen. Der Behörde ist das zuviel. Frehe erklärt dagegen, das Geld sei eine Art „erhöhtes Deponat“, das beim Auszug zurückerstattet wird. Mit dem Geld will die Wohnungsgenossenschaft neue barrierefreie Wohnungen kaufen. Der Umbau einer bereits von Sozialhilfeempfängern bewohnten Wohnung sei genauso teuer.

Als Geschäftsführer der Genossenschaft kritisiert Frehe vor allem, daß die Senatorin für Soziales nur auf Servicehäuser für Behinderte setzt: Pflege und Wohnung sollen in Projekten wie „Akzent Wohnen“ verknüpft werden, wie sie vom Deutschen Paritätischen Wohlfahrtsverband derzeit errichtet werden.

Davon ist Frehe überhaupt nicht begeistert: „Solche Servicehäuser sind in der Nähe von Altenheimen angesiedelt, und auf Knopfdruck kommt die Schwester.“ Mit Selbstbestimmung und Integration hätte das nichts zu tun, kritisiert Frehe: Statt frei entscheiden zu können, wo und wie sie leben können, „werden Behinderte in eine Trägerabhängigkeit eingebunden.“ Auch für den 34jährige Rollstuhlfahrer Harald Kellner klingt das Konzept des Servicehauses nach einem „Heimplatz“. Lieber will er in die Wohnung der Genossenschaft einziehen. Die ist nah zur Innenstadt, so kann er am Leben teilnehmen. pipe