Festnahme bei Chaostagen rechtswidrig

■ Bremer Oberverwaltungsgericht kassiert Verwaltungsgerichtsbeschluß: Mann hätte nicht ohne Warnung von der Polizei eingebuchtet werden dürfen / Anwalt erwägt jetzt Schadensersatzklage

Die Festnahme eines Bremers bei den hiesigen Chaos-Tagen im August 1996 war rechtswidrig. Zu dieser Auffassung kam jetzt das Bremer Oberverwaltungsgericht. Es setzte damit eine frühere Entscheidung des Verwaltungsgerichts außer Kraft, wonach die Festnahme des Mannes am Sielwall rechtmäßig war. Das Oberverwaltungsgericht dagegen sah die Ingewahrsamnahme des Sozialarbeiters, der sich um drei Uhr morgens am Rande des Sielwalls vor einer Imbißbude aufgehalten hatte, als rechtswidrig an, weil ihr kein Platzverweis als Warnung vorangegangen war.

Mit diesem Urteil kam der erste von insgesamt 14 Prozessen in Zusammenhang mit den Chaos-Tagen 1996 zu einem Ende. 13 weitere sind nach Angaben des Bremer Verwaltungsgerichts dort noch anhängig. Wann sie abgeschlossen werden, sei wegen der umfangreichen Erörterung und Ermittlung der jeweils verschiedenen Sachverhalte nicht absehbar, sagte der Präsident des Verwaltungsgerichtes, Matthias Stauch, gegenüber der taz. Aus Sicht von Oberverwaltungsgericht sowie Verwaltungsgericht läßt die jetzige Entscheidung jedoch keine Schlußfolgerungen für weitere Verfahren zu. Es handele sich um eine reine Einzelfallentscheidung, hieß es.

Der Kläger war in der Nacht auf Samstag, den 3. August 1996, am Sielwall im Rahmen einer Massenfestnahme von überwiegend jungen Leuten ins Gewahrsam abgeführt worden. Mit rund 300 weiteren Festgenommenen hielt die Polizei ihn mehrere Stunden lang in einer Garage an der Kaserne Vahr unter Bedingungen fest, die später für öffentliches Aufsehen sorgten. So gab es in den provisorisch zum Gewahrsam umfunktionierten Garagen nicht genügend Sitzgelegenheiten, Festgenommene mußten auf dem Boden lagern; auch hatten manche der bis zu 22 Stunden Festgehaltenen beklagt, daß ihnen die Kontaktaufnahme zu RechtsanwältInnen verwehrt worden war. Außerdem wurde die ungenügende Versorgung mit Nahrung und Getränken kritisiert. Gegenstand des jetzt abgeschlossenen Verfahrens waren jedoch die Umstände der Festnahme des Klägers.

„Wir sind zu dem Schluß gekommen, daß die Polizei nicht ausreichend zwischen den Störenfrieden auf der Sielwallkreuzung und umstehenden Schaulustigen unterschieden hat“, sagte der Sprecher des Oberverwaltungsgerichts, Hans Alexy. Unstrittig sei, daß die Verhaftung einer Gruppe von Blockierern auf der Kreuzung, „von der Gewalttätigkeiten drohten“, rechtens war. Im Randbereich, wo sich der Kläger aufhielt, hätte der Festnahme jedoch eine Warnung vorangehen müssen. Dies hätte BeobachterInnen der Szene – „zu denen der Kläger unzweifelhaft gehörte“, so das Gericht – die Möglichkeit gegeben, sich zu entfernen. „Warum es zu einem solchen Platzverweis nicht kam, konnte in dem Verfahren seitens der Polizei nicht ausreichend begründet werden“, so Alexy. Der Lärm und die laute Musik am Sielwall könnten keine Begründung für ein derartiges Versäumnis sein. „Dafür hätte die Polizei sich rüsten müssen.“ Der Anwalt des Klägers, Martin Stucke, teilte mit, daß sein Mandant eine Schadensersatzklage erwäge.

Anläßlich der Bremer Chaos-Tage 1996 hatte die Bremer Polizei tagelang bereits im Vorfeld umstrittene Platzverweise erteilt und vielfach kritisierte Personenkontrollen von jungen Leuten in buntem Outfit vorgenommen.

ede