Nachama: Bubis' bittere Bilanz ernst nehmen

■  Der Vorsitzende der Jüdischen Gemeinde zu Berlin, Andreas Nachama, zeigt Verständnis für die Verbitterung des Zentralratsvorsitzenden, schränkt aber ein: Entfremdung zwischen Juden und Nichtjuden in Berlin nicht so groß

Der Vorsitzende der Jüdischen Gemeinde zu Berlin, Andreas Nachama, hat Verständnis für die bittere Bilanz geäußert, die der Vorsitzende des Zentralrats der Juden, Ignatz Bubis, nach bisher sieben Jahren Amtszeit gezogen hat. „Man muß es ernst nehmen“, mahnte Nachama in einem Gespräch mit der taz, Bubis habe „überlegt formuliert“.

Zugleich betonte Nachama jedoch, daß er das Verhältnis zwischen jüdischen und nichtjüdischen Deutschen, zumindest in Berlin, als weniger schlecht ansieht als der Zentralratschef. Bubis hatte in einem Interview mit dem Stern geklagt, er habe „nichts, oder fast nichts bewirkt“. Trotz seiner Bemühungen seien jüdische und nichtjüdische Deutsche einander fremd geblieben.

Nachama betonte, manchmal könne man eben erst mit einem gewissen Abstand wirklich erkennen, was man erreicht habe. Dies werde Bubis womöglich auch erst „zehn, fünfzehn Jahre nach seiner letzten Amtszeit“ erkennen. Auch er selber habe erfahren müssen, daß man in solchen Ämtern „sehr einsam“ und seiner Umwelt entfremdet werden könne, da man von vielen fast nur in seiner Funktion wahrgenommen werde. Er glaube jedoch nicht, daß der Anteil der Deutschen, die die Shoah verdrängten, so hoch sei, wie Bubis befürchte. Er gehe von etwa 20 Prozent aus. Dennoch sei es „kein Zufall“, daß der Vorgänger von Bubis, Heinz Galinski, am Ende so verbittert gewesen sei „und daß es jetzt Bubis trifft“.

Nachama schränkte für Berlin Bubis' Aussage ein, wonach die Entfremdung zwischen Juden und Nichtjuden auch daran liege, daß „sich Juden in diesem Land teilweise selbst ausgrenzen“. In seiner Gemeinde sehe er keinen „größeren Anteil“, auf den dies zutreffe. Von den etwa 11.000 Gemeindemitgliedern seien um die 4.000 gar nicht aktiv. Dies deute nicht darauf hin, daß sich viele Juden isolierten. Vielmehr habe er den Eindruck, daß die meisten gut in die nichtjüdische Mehrheitsgesellschaft integriert seien.

Weniger pessimistisch zeigte sich Nachama bei der Ansicht von Bubis, auch beim Mahnmalsstreit habe es eine „Schlußstrich-Debatte“ gegeben. Daß ein Schlußstrich gezogen werden solle, das habe er schon als 15jähriger 1965 bei der Verjährungsdebatte gehört. Gesellschaftliche Diskussionen, beispielsweise 50 Jahre nach Kriegsende 1995, seien stets „Teil-Schlußstriche“, erklärte Nachama. „Es werden aber immer neue Themen kommen.“ Nicht die Mehrheit der Deutschen, aber die Mehrheit der meinungsbildenden Gruppen sei sich der deutschen Schuld bewußt. Man müsse jedoch abwarten, ob Bubis bei seiner Warnung recht behalte, daß Walser mit seiner Paulskirchen-Rede ein „Tor geöffnet“ habe, „durch das nun viele gehen“, wie Bubis sagte. Durch die Walser-Rede, so Nachama, würden sich nun die, die „bewußt wegschauen“, öffentlich dazu bekennen. Das sei eine „neue Dimension“. Unklar sei, „wohin das geht“. Bubis hatte gesagt, er wolle nicht in Deutschland beerdigt werden, damit nicht sein Grab wie das Galinskis „gespengt wird“. Wenn es eine Gesellschaft „achselzuckend“ zulasse, so Nachama, daß Gräber geschändet würden, zeuge das vom fehlenden Respekt vor den Toten – und den Lebenden. Philipp Gessler