Schütteln und Backen

■ Henning Harnisch

Als erstes sollte man den Schutzumschlag entfernen. Der ist Ummantelung und moderner Schnickschnack. Ernst und richtig wird es erst, wenn die Hülle gefallen ist und ein in Schwarz gebundenes Buch zum Vorschein kommt. Dreht man das schwarze Etwas zur Seite und schaut auf den Buchrücken, dann blickt man auf Wooden. Genau, Wooden steht da geschrieben. Sonst nichts. Ein Ausschlußverfahren setzt in diesem Moment ein: Entweder Wooden steht für Wooden, steht

Herberger aufgepaßt: Hier kommt Wooden. Einfach Wooden. Und nichts als Wooden.

für nichts. Oder Wooden steht für Coach Wooden, steht für amerikanischen Mythos, steht für amerikanische Werte – steht für alles. Aus amerikanischer Sicht, versteht sich.

Aus amerikanischer Sicht gibt es keine Frage, Wooden oder Coach Wooden oder gerne auch einfach Coach, ist amerikanische Ikone. Der Name ist Programm: Wooden. Neben Yosemite Park, Ford und Kennedy ist Wooden gleichberechtigt in der amerikanischen Mythologie verwurzelt. Ein Name, der schon nach Heartland klingt. Die Schwere des Namens Wooden – aus amerikanischer Sicht – ist in zehn College-Meisterschaften als Trainer von UCLA in den Sechzigern und Siebzigern nur ungenügend erklärt. Der Mann ist gelebte Werte, seine Basketball-Erfolge Stellvertreter für die Ziele des amerikanischen Lebens schlechthin, das heißt auf jede Profession anwendbar.

Aber genug der Vorrede, hier kommt Wooden: „Die Mannschaft, die die meisten Fehler macht, wird wahrscheinlich gewinnen.“ Was? Dieser Lehrsatz steht auf Seite 73 von Wooden, sozusagen im Herzen des Buches. Doch Moment, dieser scheinbare Widerspruch wird aufgelöst: „Fehler machen kommt von machen. Wer keine Fehler macht, wird wahrscheinlich einfach rumsitzen und nichts machen. Das ist ein großer Fehler.“ Ach so.

Wooden ist nicht nur ein Stück amerikanisches Traum-Herz, tatsächlich stammt er auch wirklich aus dem Heartland, der Gegend, wo amerikanische Ideale auf Feldern und Farmen ihre Heimat gefunden haben. Und wo Basketball in High-School- und College-Hallen puritanisch-edel verwurzelt ist. Etwa in Indiana, der Heimat Woodens. Coach sagt: „Auf einem Schild am Stadtrand von meiner Heimatstadt Martinsville stand: Martinsville, Indiana, Einwohner 4.800. Wie auch immer, unsere High-School-Halle hatte 5.200 Sitzplätze, und sie war immer ausverkauft.“ Soviel zu Basketball und Leben in Indiana. Aber Moment, Wooden schränkt ein: „Damals habe ich das nicht gedacht, aber jetzt glaube ich, das war ein bißchen unproportional.“ Einsichten.

Einsichten eines erfolgreichen Menschen, gesammelt und vorgestellt in Wooden, dem Buch, das sich weigert, die Zahl Zehn auszusprechen. Das sich aber in Aufzählungen à la Two Sets of Threes, Six of Life's Puzzlers, Five More Puzzlers, Nine Promises That Can Bring Happiness der Zahl Zehn, den Zehn Geboten nicht nur numerisch annähert. Man kann durchaus von der modernen Variante der Zehn Gebote sprechen, wenn schlicht, aber bestimmt, Erfolg (success!), Familie und Einsatz (effort!) nebeneinanderstehen und in ihren diversen Facetten durchdekliniert werden. Und letztendlich in einem Schaubild, der Pyramide des Erfolgs, zusammengefaßt werden (siehe Schaubild).

Harmonisch werden sie durch die acht Gesetze des Lernens pädagogisch ergänzt: „Erklärung, Demonstration, Imitation, Wiederholung, Wiederholung, Wiederholung, Wiederholung und Wiederholung“. Perfekt. „Achte auf die Kleinigkeiten“ – „Sei schnell, aber beeile dich nicht“ – „Wer es verpaßt, sich vorzubereiten, der bereitet sich vor, zu scheitern.“ – „Achte sorgfältig darauf, wem du folgst.“ – „Fehler sind nicht schlimm, aber der Fehler, sich nicht zu verändern, könnte es sein.“ Wiederholen, wiederholen, wiederholen, wiederholen. „Anführer hören zu.“ – „Das Beste, was ein Mann für seine Kinder tun kann, ist, ihre Mutter zu lieben.“ Endlos wiederholt, werden Pyramide und Lehrsätze ihre Wirkung nicht verfehlen. Komplettiert werden sie durch weise Geschichten – man kann sie auch Parabeln nennen – die den Leser, vor allem den amerikanischen, ins Land der klaren Werte befördern.

Hier ein Beispiel, das, selbstverständlich, in Indiana spielt. Kommt ein Mann in eine Kleinstadt in Indiana. Er denkt darüber nach, dort hinzuziehen, und fragt an der Tankstelle, was für Menschen in dieser Stadt wohnen. Der Tankstellenwart fragt zurück, was für Menschen in der Stadt des Fremden wohnen. Der Fremde antwortet, daß dort unehrliche, unfreundliche, böse Menschen wohnen. Darauf sagt der Tankstellenwart, daß der Fremde die gleichen Menschen an diesem Ort antreffen wird. Einen Monat später kommt ein weiterer Fremder vorbei, mit der gleichen Absicht und der gleichen Frage. Auch ihn fragt der Tankstellenwart, wie die Menschen in seiner Stadt seien. Der Fremde antwortet: Sie sind freundlich, nett und ehrlich. Darauf entgegnet der Tankstellenwart: Auch hier wirst du diese Menschen finden. Alles eine Frage der Perspektive.

Alles eine Frage der Perspektive, sage auch ich. Aus europäischer Sicht.