: Monsieur Dupont wartet auf einen zweiten Bosman
■ Durch den Fall Anelka droht dem Fußball-Transfersystem das endgültige Aus
Brüssel (taz) – Der Fußball ruft Jean-Louis Dupont mit schrillen Tönen zur Arbeit. Das Telefon klingelt schon wieder in der Brüsseler Kanzelei des Rechtsanwalts, der den wohl bekanntesten Rechtsspruch des europäischen Sports erzwang, das Bosman-Urteil. Dupont (33) eilt in den Nebenraum.
„War wegen der Anelka-Sache“, sagt er, als er zurückkommt. Es scheint, als seien die Parteien im Streit um den Transfer des französischen Nationalspielers Nicolas Anelka von Arsenal zu Lazio Rom nun langsam doch so erschöpft von ihrer monatelangen Zankerei, daß der Wechsel für 65 Millionen Mark Ablöse bald vonstatten gehen wird. Doch könnte die Sache Anelka noch ein Nachbeben auslösen – als Anwalt des Spielers verdeutlichte Dupont, daß dem traditionellen Fußball-Transfersystem der endgültige Zusammenbruch droht.
Erschüttert wurde das System bereits 1995, als Dupont im Auftrag des durchschnittlichen belgischen Fußballers Jean-Marc Bosman vor den Europäischen Gerichtshof zog. Die gängige Praxis der Vereine, für einen Sportler am Ende seines Arbeitsvertrages eine Ablöse zu fordern, sei illegal, bestätigte ihnen das Gericht; der Rest ist Sportgeschichte.
In einem Gutachten für Anelka legte Dupont nun dar, daß ein Fußballer auch aus einem laufenden Vertrag aussteigen darf, ohne daß sein Verein ihn daran – etwa durch extreme Ablöseforderungen – hindern kann. Dies würde den Klubs eine der letzten Möglichkeiten rauben, fortdrängende Spieler aufzuhalten. Anelka bat Dupont, seine Rechte zu prüfen, als sein Wechsel genauso an Arsenals hoher Ablöseforderung zu scheitern drohte. Dupont befand: „In Einklang mit dem europäischen Recht sind die Gesetze der meisten EU-Staaten – auch in Großbritannien, wo Anelka arbeitet – eindeutig: Ein Arbeitnehmer, also auch Fußballer, schickt seine Kündigung per Einschreiben, und dann ist er nach einer angemessenen Kündigungsfrist frei.“ Diese Frist wäre bei Fußballern, deren Verträge selten länger als fünf Jahre gelten, wohl entsprechend kurz.
Dupont legt Wert auf die Feststellung, daß ihn Anelka nur um eine Einschätzung der Rechtslage bat. Ein halbes Jahr oder länger Pause, das der Rechtsstreit kosten könnte, ist für einen Nationalspieler zu kostbar. Trotzdem glaubt Dupont, man müsse nicht lange auf einen Präzedenzfall warten. Noch fünf, sechs solcher großen, öffentlichen Fälle wie Anelka, „und einer klagt“. Wenn, wird es ein Spieler sein, der nicht viel zu verlieren hat, vielleicht aus der zweiten oder dritten Liga. Ein zweiter Bosman. Ronald Reng
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