Allein gegen Gott, Vaterland und die IRA

„Der General“ erzählt die wahre Geschichte des irischen Räubers und Bigamisten Martin Cahill  ■   Von Brigitte Werneburg

Das Resümee einer gelungenen Ehe kann so lauten: „Du bist ein guter Mann, Martin Cahill, es gibt wenige Männer wie dich, die nicht trinken, nicht rauchen und sich nicht mit anderen Frauen abgeben.“ Im Fall des Martin Cahill (Brendan Gleeson) sind es freilich gleich zwei Frauen, beide Mütter seiner Kinder, die ihn derart loben: seine Ehefrau Frances (Maria Doyle Kennedy) und deren Schwester Tina (Angeline Ball). Cahill ist „Der General“ in John Boormans gleichnamigen Film. Er ist ein guter Mann, weil er ein schlechter Mann ist; ein Krimineller, allerdings von großem Format.

Es hat Martin Cahill wirklich gegeben. In den 80er Jahren wurde er mit seinen aberwitzigen Raubzügen zum irischen Volkshelden, bevor ihn die IRA 1994 hinrichtete, weil er ihren Interessen in die Quere kam und ihrem Machtanspruch den Respekt verweigerte. Es ist dieser Gesichtspunkt der Geschichte, der Boorman interessiert. Es geht um eine politische Utopie; das Porträt eines neuen Iren, dem jede Bigotterie gegenüber Vaterland oder Krone, Kirche und Partei fernliegt. Daß Martin Cahill, seine verfrühte Verkörperung, ein guter Mann ist, weil er ein schlechter Mann ist, heißt dann: ganz einfach ist Emanzipation nicht zu haben. Die Werte liegen in einer Welt traditioneller Abhängigkeiten eben anders, als man meint. „Kinderschänden ist eine Sache der Priester, nicht der Kriminellen“, weist er einen Vater aus seiner Bande zurecht. Doch da, so zeigt es der Regisseur von „Excalibur“, bricht die Tafelrunde jenes seltsamen König Artus aus Hollyfield, einem Slum-Viertel in Dublin, schon auseinander. Am Ende steht der General alleine da.

Mit diesem Ende beginnt John Boormans Films. Wie alleine Martin Cahill an jenem Morgen dasteht, als der IRA-Mann auf ihn zu stürmt, seine Pistole zückt und ihn in den Kopf schießt, versteht der Zuschauer erst richtig, wenn er die Szene am Ende des Films zum zweiten Mal sieht. Da erkennt er, daß er gerade der Erzählung eines ganz schaurigen, aber hoch ironischen Witzes folgte. Denn die ständig von Cahill blamierte Polizei setzt schließlich eine 90köpfige Sondereinheit auf ihn an, deren Aufgabe eine beispiellose Observation rund um die Uhr ist. Aber auch unter diesen Umständen operiert er erfolgreich. Und so meint man, als das sonst von Ordnungshütern nur so wimmelnde Areal um sein Haus am Morgen des 17. August wie leergefegt ist, Cahill triumphiere nun endgültig über die Polizei. Doch die Stunde seines Sieges ist auch die seiner Niederlage.

Bis dahin hat er sich gut geschlagen, mit brutalen Mitteln, die sich Boorman zu zeigen nicht scheut; mit Mitteln eines einfallsreichen Witzes, vor dem Boorman und der Zuschauer schließlich kapitulieren: So macht Cahill beispielsweise eine kleine, aber fein geplante Landpartie. Er muß nach dem gestohlenen Vermeer aus der Sammlung Sir Alfred Beits schauen, den er irgendwo im Gebüsch versteckt hat. Natürlich folgt ihm die Polizei. Über Stock und Stein, bis in die Nacht und in die tiefste Pampa hinein. Und dann geht Cahill das Benzin aus. Den Bullen freilich auch. Doch nur Cahill hat den entscheidenden Ersatzkanister mit Benzin dabei.

Es ist eine der vielen großartigen Szenen des Films, und sie schlägt schon das Motiv an, das Cahills Ende besiegelt. Er prescht zu weit vor. Nicht nur die Polizei, auch seine Leute können ihm nicht mehr folgen. Als er die Gemälde schließlich an die Ulster Volunteer Force verdealt, kann er nur noch den Schwächsten seiner Leute zwingen mitzumachen. Und Polizeiinspektor Ned Kenny, Cahills Merlin, den Jon Voight als einen Antagonisten voller bitterer, bewundernder Zähigkeit spielt, muß tatsächlich nur warten. Denn auch bei Martin Cahill kommt der Hochmut vor dem Fall. Er sieht die Welt nicht, wie sie ist; dazu muß er sich zu oft die Hände vor die Augen halten und sein Gesicht verdecken, um gegenüber den Foto- und Fernsehkameras unkenntlich zu bleiben, wenn er, der ein Vermögen von über 100 Millionen Mark hinterlassen haben soll, in der Schlange steht, sein Arbeitslosengeld abzuholen.

Brendan Gleeson, der sich als Martin Cahill die meiste Zeit des Films hinter dem Schutzgitter seiner Hände oder der tief ins Gesicht gezogenen Kapuze versteckt, bringt dennoch eine ungeheure Präsenz über die Leinwand. Mehr als auf seine Mimik setzt er auf seinen bulligen Körper; er ist ein erstaunlich wendiger Block, und wenn er am Boden liegt, dennoch ein standhafter Koloß. Sein wahres Gesicht trägt sowieso Eamonn Owens, der in Rückblenden den jungen Cahill im Slum von Hollyfield spielt: eine schöne Idee Boormans, die seinem Helden das offene, unternehmungslustige und unbeeindruckte Jungensgesicht gibt, das erklärt, welchen Ursprung Cahills Rebellion und seine Distanz zur irischen Gesellschaft hat.

Als Hollywood-erfahrener Europäer stellt Boorman die Topoi des amerikanischen Kinos gerne vom Kopf auf die Beine, und daher ist seine ganz in Schwarzweiß gedrehte Gangsterballade sowenig nostalgisch, wie eine Verfolgungsjagd mit dem Motorrad in der engen Altstadt von Dublin schnell ist – sie ist nämlich langsam und beschwerlich. Und weil in solchen Details die besten Momente des europäischen Autorenfilms wahr werden, kam Boorman auf den 51. Filmfestspielen von Cannes mit dem Regiepreis zu Recht zu Ehren. Am Tag der Preisverleihung las man übrigens von der Annahme des Referendums zu den Nordirland-Vereinbarungen. „Der Krieg ist vorbei. Nichts wird mehr so sein, wie es war“, sagte damals David Ervine, Anführer einer extremistischen protestantischen Splitterpartei. Doch nun, wo der Film anläuft, scheint auch diese Annahme verfrüht.

„Der General“. Buch und Regie: John Boorman. Mit Brendan Gleeson, Jon Voight u. a., Irland 1998, 129 Min.