■ Morgen wird der Stabilitätspakt für den Balkan besiegelt. Ob dabei mehr herauskommt als ein Medienspektakel, ist ungewiß
: Die halbherzige Hilfe des Westens

Gestern fand in Brüssel die erste Geberkonferenz von 100 Staaten und internationalen Organisationen zur humanitären Not- und Wiederaufbauhilfe für das Kosovo statt. Morgen werden sich in Sarajevo 30 Staats- und Regierungschefs versammeln, um den „Stabilitätspakt für Südosteuropa“ zu besiegeln. Doch „große Konferenzen haben die Eigenschaft, in der Presse eine große Rolle zu spielen – weniger bei der Lösung von Problemen.“ Diese mit Blick auf den Gipfel in Sarajevo formulierte Skepsis von Wolfgang Roth, dem Vizepräsidenten der Europäischen Investitionsbank, ist überaus berechtigt.

Bereits die Sicherheitsvorkehrungen für den Kurzbesuch von 4.000 Delegationsmitgliedern und Journalisten verwandelten die bosnische Hauptstadt in einen Zustand, der viele an die dreieinhalbjährige serbische Belagerung während des Krieges erinnert. Die Kosten des wenige hektische Stunden währenden Gipfeltreffens sind auf stolze vier Millionen Mark veranschlagt. Damit ließe sich im Kosovo ein ganzes Dorf wiederaufbauen. Und die bosnische Regierung, die sich von der Gipfelveranstaltung zunächst zusätzliche Finanzspritzen erhofft hatte, soll jetzt auch noch fast die Hälfte der Unkosten übernehmen.

Kurzum: Zu erwarten ist ein Medienspektakel, das weniger zur Lösung als zur Vertuschung der Probleme beitragen dürfte. Und die sind gravierend: Bereits im Bereich der humanitären Soforthilfe für die zurückgekehrten Flüchtlinge und Vertriebenen hat die internationale Staatengemeinschaft in den sechs Wochen seit Ende des Nato-Luftkriegs weitgehend versagt. Die dafür veranwortlichen Organisationen – wie das UNO-Hochkommissariat für Flüchtlinge UNHCR und das Rote Kreuz – haben bislang noch nicht einmal die Hälfte der von ihnen klar definierten Finanzmittel in Höhe von rund 1,5 Milliarden Mark erhalten, die sie bis zum Einbruch des Winters für die elementare Grundversorgung Hunderttausender Menschen mit Lebensmitteln und Medikamenten brauchen. Hängengelassen werden die internationalen Organisationen gerade von den 16 Nato-Regierungen, die andererseits in der Lage waren, für den elfwöchigen Luftkrieg gegen Jugoslawien rund 100 Milliarden Mark aufzubringen.

Nicht besser steht es um die Vorbereitungen für den Wiederaufbau der zerstörten Infrastruktur im Kosovo. Die seit langem überfälligen konkreten Beschlüsse wurden auf der gestrigen Brüsseler Konferenz erneut um Monate verschoben – vor allem weil sich die USA und die EU-Staaten immer noch nicht darüber einigen können, wer wieviel bezahlt.

Bleibt es bei der mangelnden Bereitschaft, die für die humanitäre Nothilfe und den Wiederaufbau benötigten Gelder jetzt schnell und unbürokratisch bereitzustellen, müssen sich Albanien, Makedonien, Montenegro, aber auch Deutschland und andere EU-Staaten zum Winterbeginn auf eine neue Fluchtwelle Hunderttausender Kosovaren einstellen.

Am diffusesten ist das Bild beim ursprünglich von Bundesaußenminister Joschka Fischer lancierten „Stabilitätspakt für Südosteuropa“. Die großen Hoffnungen, die die Ankündigungen der letzten Wochen erweckt hatten, weichen zunehmend der Ernüchterung. Denn konkrete Programme und Zielsetzungen zur Ausfüllung dieses Paktes fehlen noch immer weitgehend. Zudem läßt die EU bislang keine Bereitschaft erkennen, über Geldleistungen an die Balkanstaaten hinaus auch die Importschranken gegen Produkte aus diesen Staaten zumindest deutlich zu senken.

Schließlich sind die Summen zur Ausstattung des Stabilitätspaktes, die im Vorfeld des Sarajevo-Gipfels genannt wurden, ein schlechter Witz. Die EU „als einer der Hauptgeber“ für den Pakt will „in den nächsten Jahren“ lediglich schlappe 1,5 Milliarden Mark aufbringen, so der stellvertretende SPD-Fraktionsvorsitzende Gernot Erler. Bleibt es bei dieser kläglichen Summe, zeigt dies: Der Stabilitätspakt ist nicht ernst gemeint.

Viel Geld ist zwar eine unerläßliche, aber nicht die einzige Voraussetzung für ein Gelingen von Wiederaufbau, Demokratisierung und Stabilität im Kosovo und der gesamten Region. Das zeigt die Erfahrung aus Bosnien-Herzegowina mit der bislang in weiten Teilen gescheiterten Umsetzung des Dayton-Abkommens. Die Versäumnisse der Nato-geführten SFOR-Truppen und der Internationalen UN-Polizei werden in einem Memorandum von 100 bosnischen Gruppen an den morgigen Sarajevo-Gipfel klar benannt.

Das Resümee des aus dem Amt scheidenden EU-Sonderbeauftragten in Sarajevo, Carlos Westendorp ist hingegen eine glatte Beschönigung der Lage, die wohl vor allem zur Beweihräucherung der eigenen Amtszeit dienen soll. Die sehr viel kritischere Bilanz, die Westendorps deutscher Stellvertreter Hanns Schumacher gestern in einem Interview zog, kommt der wahren, äußerst verfahrenen Lage schon sehr viel näher. Fragt sich nur, warum Schumacher erst jetzt, zum Ende seiner Amtszeit, den Mund aufmacht. Oder hat er in den letzten zwei Jahren intern gegenüber dem Bundesaußenministerium und der EU-Kommission seine Lagebeschreibungen und seine Kritik an Westendorp geäußert? Waren Bonn und Brüssel daran nicht interessiert?

Wie dem auch sei: Aus den von Schumacher und anderen benannten Versäumnissen bei der Umsetzung des Dayton-Abkommens für Bosnien wären für die Politik von EU, Nato und UNO im Kosovo Konsequenzen zu ziehen. Die wichtigsten: Der Schutz der serbischen und anderer Bevölkerungsminderheiten kann nicht auf die Stationierung einer – selbst im geplanten vollen Umfang völlig unzureichenden – internationalen Polizeitruppe warten. Diese Aufgabe muß umgehend der KFOR übertragen werden, die zugleich ein überzeugendes Schutzangebot an die inzwischen geflohenen Serben machen muß, damit diese zur Rückkehr ermutigt werden.

Zweitens: Die Ausgrenzung Serbiens aus Wiederaufbauprogramm und Stabilitätspakt, solange Miloševic an der Macht ist, ist eine falsche, kontraproduktive Strategie, die den Diktator stärkt. Nur die volle Einbeziehung der serbischen Bevölkerung in die internationalen Programme – organisiert durch Kooperationen etwa mit von der Opposition regierten Städten – bietet eine Chance, die Macht des derzeitigen Regimes in Belgrad zu unterminieren.

Zudem: Echte Stabilität für die gesamte Region wird es nur geben, wenn die EU- und Nato-Staaten sich nach dem Einsatz für die Rückkehr der aus dem Kosovo vertriebenen Albaner jetzt ebenso deutlich für die Heimkehr der 1,5 Millionen vertriebenen Bosnier in ihre Vorkriegswohnorte engagieren wie für die der knapp 300.000 aus Kroatien vertriebenen Serben.

Andreas Zumach

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