Der Ruck in Tschechien ist ausgeblieben

■ Das sozialdemokratische Minderheitskabinett hat die Tschechen bisher enttäuscht. Ministerrauswurf verschafft nur eine Atempause

Prag (taz) – Über ein Jahr nach ihrem Amtsantritt steckt Tschechiens Minderheitsregierung des Sozialdemokraten Miloš Zeman in der Krise. Am vergangenen Wochenende meldeten sich namhafte Intellektuelle zu Wort und riefen zu einer Erneuerung der politischen Kultur nach zivillgesellschaftlichen Prinzipien auf. Die „allgemeine Krise“ des Landes müsse im Zuge einer „gesellschaftlichen Versöhnung überwunden werden“, heißt es in einem Papier der Initiative „Impuls 99“. Zu den Unterzeichnern gehören der Erzbischof von Prag, Miloslav Vlk, der Theologe Tomás Halik und der Vorsitzende der größten tschechischen Gewerkschaft, Richard Falbr. Mit Jiri Pehe, ehemaliger Leiter des außenpolitischen Büros von Václav Havel, sind auch einige Persönlichkeiten aus dem Umfeld des Präsidenten vertreten, was in Tschechien keineswegs so positiv zu bewerten ist, wie man sich angesichts des Weltrufs des Präsidenten im Westen vorstellt. Demgegenüber hielten sich Politiker aus Regierung und Opposition zurück. So ist unwahrscheinlich, daß die kriselnde Regierung vom „Impuls 99“ eine Anregung wirklich annimmt.

Als 1998, kurz nach der Regierungsübernahme Ministerpräsident Miloš Zeman der hohe Altersdurchschnitt seiner ausschließlich männlichen Minister vorgeworfen wurde, sprach er von einem „Selbstmörderkommando“. Die Probleme seien derart gravierend, daß die Mitarbeit in der Regierung keine normale Arbeit sei. Er sagte überdies zu, nach einem Jahr die Zusammensetzung seiner Truppe kritisch zu überprüfen.

Just in diesen Tagen rollte nun der erste Kopf: Ivo Svoboda, Finanzminister und Parteigenosse Zemans, wurde entlassen. Ursprünglich wollte Zeman mehrere wenig effektive Minister ablösen, erklärte jedoch die Regierungsumbildung für abgeschlossen. Somit bleiben die im Amt, die für die Verschleppung der Wirtschaftsreformen verantwortlich sind, wie der Minister für Industrie und Handel, Miroslav Grégr, der direkte staatliche Hilfen für die maroden Großbetriebe vorgeschlagen hatte. Erst nach einer massiven Argumentationshilfe seitens der EU entschied sich die Regierung für die Variante von Vizepremier Mertlik, der eine staatsferne Agentur mit der Revitalisierung beauftragen will. Doch Ergebnisse werden auf sich noch warten lassen.

Ein Befreiungsschlag war die Abberufung des Finanzministers Ivo Svoboda nicht. Dem entthronten Finanzminister wird nun auch gerichtlich vorgeworfen, ein „Tunellierer“ zu sein. Das sind in Tschechien jene Wirtschaftsbosse, die während der Privatisierung große Betriebe unter ihre Kontrolle brachten, Filetstücke in eigene Firmen ausgliedern und den Rest Konkurs anmelden lassen. Svoboda wird in der seit Dezember 1998 laufenden Ermittlung sogar vorgeworfen, daß er Transaktionen in die eigene Tasche erst vorgenommen hatte, als die Konten seiner Firma Liberta in Melnik schon gesperrt waren. „Untreue gegenüber Gläubigern“ lautet der Vorwurf, auf den die Miteigentümerin der Firma und spätere Beraterin Svobodas, Barbora Snopková, vor wenigen Wochen durch ihren eigenen Rücktritt reagiert hatte.

Auch nach Svobodas Abgang dürfte die Regierung nicht zur Ruhe kommen. Mit Häme kommentierte Václav Klaus, Ex-Regierungschef, heute Parlamentspräsident und Vorsitzender der Bürgerlich-Demokratischen Partei ODS, Svobodas Entlassung. Obwohl er mit der Minderheitsregierung einen „Oppositionsvertrag“ abschloß, der ihre Abwahl ausschließt, stellt er nun süffisant fest, Svoboda sei noch einer der fähigeren Minister gewesen.

Tatsächlich gibt es in Zemans Kabinett Minister, die fast unsichtbar sind und solche, die wie der Vizepremier Egon Lánsky über den eigenen Rücktritt philosophieren. Lánsky, der für die europäische Integration zuständig ist, kündigte für den Fall einer weiteren Negativbeurteilung der tschechischen Beitrittsvorbereitungen seitens der Europäischen Kommission seinen Rücktritt an. Diese Verspätung wurde im Bericht der Kommission einmal deutlich festgehalten. Aber eine klare Übernahme der Verantwortung findet nicht statt. Statt dessen werden die beiden Botschafter Tschechiens bei der Nato und in Deutschand demontiert und Lánsky als deren Nachfolger ins Gespräch gebracht.

Sollte Lánsky doch nicht auf einen Botschafterposten weggelobt werden, bliebe die Möglichkeit, festzustellen, daß die Vorbereitungen Tschechiens auf den Beitritt zur EU keineswegs verzögert sind. Die scheinbare Verspätung gäbe es dann nur in den Köpfen der Journalisten, die Zeman unlängst einmal als Hyänen bezeichnete.

Bis zu einer Entscheidung über das Schicksal angeschlagener Minister wird im Zweifelsfall auf Nebenkriegsschauplätzen weiter gekämpft. Eine beliebte Übung ist es, wieder Václav Havel anzugreifen. Er sagte bei der Verabschiedung Svobodas, daß das Finanzministerium verschlankt werden sollte. Auch mahnt der Präsident weiter eine Beschleunigung der Betrittsvorbereitungen zur EU an. Die Partner des Oppositionsbündnisses, Zeman und Klaus, halten dies für eine unzulässige Amtsanmaßung. Sie diskutieren über die Beschränkung der ohnehin bescheidenen, kaum über Kranzniederlegungen hinausgehenden Zuständigkeiten des Staatschefs.

Doch die große Frage der Kommentatoren ist, ob das Land nicht doch eine Mehrheitsregierung braucht. Nutzen ziehen aus der Situation bisher nur die Kommunisten. Jüngsten Umfragen zufolge rangieren sie mit 18 Prozent Zustimmung auf dem zweiten Platz. Dafür ist das Vertrauen der Tschechen in ihre Regierung auf den tiefsten Stand seit einem Jahr gefallen und liegt bei 27 Prozent.

Jaroslav Sonka