Querspalte

■ Berlin – München

 Das Provisorium verwaist. Bonn zieht nach Berlin, Umzugswagen um Umzugswagen, Container um Container. Keine andere Stadt macht Berlin den Titel „Hauptstadt“ mehr streitig. Frankfurt nennt sich Euro-City und ist damit ziemlich ausgelastet. Hamburg ist Hamburg ist Hamburg. Und München? Die Stadt an der Isar, die von wemauchimmer in die Reihe der „heimlichen Hauptstädte“ eingereiht wurde, gerät mit dem Umzug noch mehr in die Peripherie. Charme hat sowieso nur der Franz-Josef-Strauß-Flughafen mit seinen ewigen Laufbändern. Der Millionen-Ort selbst lebt immer noch davon, daß er irgendwann geleuchtet haben soll, daß Schwabing einmal Schwabing war, Uschi Obermeier einmal jung und Neuschwanstein, von den USA aus gesehen, ganz in der Nähe liegt.

 Ganz München ist derweil stolz auf seinen SPD-Bürgermeister. Und sonst? Niedrige Häuser, enge Straßen, hohe Mieten. Stadt der Söhne und Töchter. Sicher, sauber, satt. Voller erfolgreicher, glücklicher Menschen, die es geschafft haben, die lachen und reden können, ohne zu denken. München, Organisationsbüro des Oktoberfestes, Hauptstadt der High-Tech-Provinz Bayern, Sitz des bayerischen Innenministeriums, „Weltstadt mit Herz“.

 Welt, Stadt, Herz? Eine Stadt, in der der Kaiser, Waldemar Hartmann und Sigfried Gottlieb ungestört ihr Unwesen treiben können? Eine Stadt, in der ernsthaft darüber diskutiert wird, ob wegen zweieinhalb Minuten Sonnenfinsternis das Licht eingeschaltet werden muß? Die Sonne scheint auch sonst lieber woanders: in Berlin.

 Nur das Münchener Umland ist schöner. Berlin fehlen der Ammersee, die Alpen und Italien. Aber: Wer will nach sintflutartigen Regenfällen noch in kolibakterienverseuchten Voralpenseen baden? Die Seen in Brandenburg sind allerdings auch nicht viel besser: Dort sitzt die braune Scheiße noch dazu an Lagerfeuern und singt. Georg Gruber