„Wir werden die Golanhöhen niemals aufgeben“

■ Der Golan wird der Preis für einen Frieden Israels mit Syrien sein. Die jüdische Bevölkerung dort ist gespalten. Die Mehrheit ist bereit, sich ein neues Zuhause zu suchen. Doch eine Minderheit kämpft lautstark gegen die Formel „Land gegen Frieden“

Surrend drehen sich die Windräder entlang der syrisch-israelischen Grenze. Nur einer der Turbinen fehlen die Flügel. „Wir haben sie zur Reparatur geschickt, im September kommt sie wieder“, sagt Joaw Zur. Er sitzt in seiner kleinen Kontrollstation, beobachtet die Räder und macht alle paar Stunden seine Runden. Die Stromgewinnung durch Windenergie ist sein Lebenswerk.

„Der Golan auf dem Weg zum Frieden“ steht auf einem riesigen Schild vor Joaws Station. Damit macht der Mann Anfang 50 ein auf den Golanhöhen seltenes Statement. Wer in den Norden fährt, kann sich an fast jeder Straßenkreuzung einen Sticker ins Auto reichen lassen, auf dem das Gegenteil steht: „Ich bin für den Golan“ ist einer der neuen Slogans. Oder: „Frieden nur mit dem Golan“. Das bedeutet: Nicht Land für Frieden, sondern Frieden für Frieden – ohne territoriales Opfer.

Joaw hegt hingegen keinen Zweifel daran, daß ein Frieden mit Syrien den Abzug der jüdischen Bevölkerung bedeuten wird. Er wird die Windräder hinter sich lassen und mit seiner Familie ein neues Zuhause suchen müssen. So schwer ihm das fällt – der Frieden ist für Joaw wichtiger, allein schon deshalb, weil sein Sohn im nächsten Sommer zur Armee muß. Am meisten macht ihm die Ungewißheit zu schaffen. „Die sollen sich endlich entscheiden.“

Obwohl liberale Stimmen wie die von Joaw auf dem Golan kaum zu hören sind, gehört er keineswegs zu einer verschwindenden Minderheit. Die jungen Pioniere, die vor gut 30 Jahren in den Norden zogen, um dem Staat an der gefährlichen Grenze mehr Sicherheit zu verschaffen, folgten dem Aufruf der Arbeiterpartei.

Selbst bei den Wahlen 1996, als klar war, daß die Arbeitspartei den Abzug plant, hat Schimon Peres über die Hälfte der Stimmen auf dem Golan erhalten. Israels Ministerpräsident Ehud Barak von der Arbeiterpartei führte bei den Wahlen im Mai dieses Jahres sogar mit 15 Prozent vor seinem konservativen Gegner Benjamin Netanjahu.

Der Golan ist linker als die jüdische Bevölkerung in Israel insgesamt. Joaw war selbst engagierter Parteiaktivist, bis er sich vor einigen Jahren bei der Frage „Golan oder Frieden“ mit seinen Parteikollegen überwarf. Mit Sami Bar-Lev zum Beispiel, Bürgermeister von Katzren, einer Ortschaft von 5.000 Einwohnern und die einzige „Stadt“ des Golan. Die beiden sind so zerstritten, daß sie sich nicht einmal mehr grüßen.

Der Bürgermeister nutzt seinen Zugriff auf die öffentlichen Gelder nämlich weder für die Infrastruktur noch für die Schaffung neuer Arbeitsplätze, die bei einer Arbeitslosigkeit von über 30 Prozent dringend nötig wären, sondern ausschließlich für seinen Kampf gegen die Rückgabe des Golans.

Vis-à-vis vom Rathaus arbeitet der „Rat der Golansiedlungen“ mit Aufklebern, Demonstrationen und Propagandafilmen an der öffentlichen Meinungsbildung. Barak hat einen Volksentscheid versprochen, sobald man sich mit Syrien geeinigt hat.

Ein Referendum ist die letzte Hoffnung für die Gegner des Rückzugs. Millionenbeträge fließen jährlich in die Büroräume und die Gehälter der Ratsmitglieder, von denen Joaw und seine politischen Freunde sagen, daß sie nicht die Mehrheit vertreten.

Eine der hauptamtlichen Mitarbeiter ist Ramona Bar-Lev, Ehefrau des Bürgermeisters. „Bis hierher – nicht der Golan“ steht in großen Buchstaben auf ihrem T-Shirt. In einem kleinen Café neben dem Rathaus trifft sie ihre Freundin Zipka Harel, Frau des Ex-Knesset-Abgeordneten Jehuda Harel. Zipka trägt das gleiche T-Shirt.

Drei Jahre lang war der „Dritte Weg“, die Partei gegen den Abzug vom Golan, in der Regierung Netanjahus vertreten. Bei den letzten Wahlen hat sie die notwendige 1,5-Prozent-Hürde für den Einzug ins Parlament nicht mehr geschafft. Selbst auf dem Golan erreichte der „Dritte Weg“ noch nicht einmal 15 Prozent der Stimmen. Die beiden Frauen gehören, wie ihre Männer, zu den Hardlinern. „Denk an Kosovo“, sagt Zipka auf die Frage, was sein wird, wenn der Evakuierungsaufruf kommt. Die Freundinnen rauchen Kette und sehen müde aus. „Ich schlafe seit einiger Zeit nicht mehr gut“, klagt Ramona. Sie sei zur „obsessiven CNN-Glotzerin“ geworden. Die ausländische Berichterstattung sei zuverlässiger als die israelische. Auch Zipka macht sich Sorgen um die Zukunft. „Wir verhalten uns wie Verrückte, nur um nicht verrückt zu werden.“

Doch vom Gelingen ihrer Aktion sind sie trotzdem fest überzeugt. „Assad hat gesehen, daß wir die Golanhöhen niemals aufgeben“, erklärt Zipka, „nur deshalb waren damals die Verhandlungen eingestellt worden.“

Tatsächlich schien eine Einigung zwischen den beiden Staaten schon vor vier Jahren in greifbarer Nähe zu sein. „Rabin – du hast kein Mandat für den Abzug“ klebte schon damals an jedem zweiten Auto, sogar in Tel Aviv und Jerusalem. Mit dem Mordanschlag gegen Jitzhak Rabin kamen die Verhandlungen zum Stillstand.

Nach der Wende 1996 sorgten die Abgeordneten des „Dritten Weges“ für die Golanhöhen, und mit Netanjahu an der Staatsführung brauchte man sich ohnehin keine Sorgen über einen möglichen Abzug zu machen.

Der Rat der Golansiedlungen bezog weiter seine Gehälter. „Ich zahle jeden Monat 5.000 Schekel (gut 2.000 Mark) Steuern“, schimpft Nachmani Scharon, Inhaber einer Kfz-Werkstatt in Katzrin. „Ich arbeite 14 Stunden am Tag, und die machen sich ein schönes Leben.“ Der im Jemen geborene Israeli kam zusammen mit Jehuda Harel aus einem Kibbuz im Jordantal auf den Golan. Inzwischen stehen die beiden politisch in zwei konträren Lagern. Für Nachmani wiegt der Frieden schwerer als alles andere. Jehuda Harel will unter keinen Umständen den Golan verlassen. „Ich glaube Jehuda kein Wort“, schimpft Nachmani. „Wenn es ernst wird, ist er der erste, der seine Koffer packt.“

Die einzigen, die nicht ihre Koffer packen werden, sind die Drusen, die gut die Hälfte der gesamten Bevölkerung auf dem Golan ausmachen. „Wir bleiben, wo wir geboren sind, wo unsere Väter und Großväter lebten“, erklärt Abu Auad Fuad, Ortsvorsitzender des kleinen Dorfes Buqata. Von wenigen Ausnahmen abgesehen, haben die Drusen auf dem Golan nie die israelische Staatsbürgerschaft angenommen. „Der Golan gehört zu Syrien“, meint Abu Auad, dem „schon immer“ klar gewesen sei, daß das Land eines Tages zurückgegeben wird. „Die Regime ändern sich, aber die Drusen bleiben.“ Susanne Knaul