„Wir brauchen keine Almosen“

Noch überwuchert Unkraut die Weinstöcke in Orahovac. Aber die Direktion der größten Kellerei im Kosovo ist optimistisch. Wenn nur die Probleme mit dem Transport, den EU-Richtlinien und den Banken nicht wären    ■ Aus Prizren Erich Rathfelder

„Daß ich hier im Stau stehen müßte, hätte ich nicht erwartet“, staunte vor kurzem eine Besucherin, die Prizren nur aus den Medien kannte. Die Berichterstattung verstellt den Blick auf das, was im Kosovo vor sich geht. War es noch vor sechs Wochen schwierig, etwas Eßbares aufzutreiben, borden jetzt die Geschäfte von Südfrüchten und Gemüse über. In den Supermärkten sind die Regale wieder aufgefüllt. Wasserhähne und Badewannen, Fensterrahmen und Türen, Gartenmöbel und Inneneinrichtungen, Fernseher und andere elektronische Geräte werden angeboten. Überall wird gehämmert und gesägt. Die albanische Bevölkerung des Kosovo nimmt den Wiederaufbau des Landes selbst in die Hand. Die unzähligen neuen Cafés der Altstadt können den Ansturm kaum bewältigen.

Noch gibt es regionale Unterschiede. In den Ruinen von Pec etwa zeigt sich neues Leben nur zaghaft, in Priština dagegen hat der Wiederaufbau begonnen, in Kosovska Mitrovica ist kaum etwas geschehen. In manchen Dörfern können die Menschen wegen der Minen nur wenig ausrichten, in anderen werden viele der niedergebrannten Gehöfte schon wieder aufgebaut. Im Lager des deutschen Technischen Hilfswerkes in Orahovac, wo es Baumaterialien gibt, stehen die Menschen Schlange. Wer zupackt, bekommt Hilfe von den internationalen Organisationen. Sogar die Ernte wird eingebracht, die Obstbäume tragen Früchte im Überfluß.

„Der Wiederaufbau der Häuser ist natürlich nur die erste Phase“, sagt Agim Hasku, Direktor der größten Weinkellerei des Landes in Orahovac, der „NBI, Rahoveci“. „Was wir jetzt unbedingt in Angriff nehmen müssen, ist die Wiederankurbelung unserer Wirtschaft, der Produktion. Die meisten Leute hier sind arbeitslos, können nichts verdienen.“

Der energische Endvierziger hatte schon einmal den Posten des Verkaufsdirektors der Kooperative inne, war aber 1992 von dem damaligen serbischen Direktor wie fast alle Albaner entlassen worden. Jetzt sitzt er auf dem Stuhl des Mannes, der nach Serbien geflohen ist. Die meisten serbischen Angestellten und Arbeiter der Firma halten sich noch in Orahovac und dem Nachbardorf Velika Hoca auf. „Die deutschen Nato-Truppen rückten hier so schnell ein, daß der serbischen Direktion nicht einmal mehr die Zeit geblieben ist, das Büro hier zu zerstören, so wie sie es anderswo getan haben“, erzählt Agim Hasku. „Sie haben lediglich den Fuhrpark, die Lastwagen und einige Maschinen weggeschafft.“

Nachdem die Albaner Ende Juli zurückgekommen waren, wählten 400 der ehemaligen Arbeiter der Kooperative Hasku zu ihrem Direktor. „Die Tür steht den serbischen Angestellten weiterhin offen“, sagt der neue Chef. „Sie kommen aber zur Zeit noch nicht.“

Hasku zeigt auf die umliegenden Weinberge, die zur Kooperative gehören: 1.000 Hektar Weinland. Weitere 3.500 Hektar gehörten noch Weinbauern, die mit der Kooperative zusammenarbeiten. „Von hier aus haben wir 1992 über 30 Millionen Liter nach Deutschland exportiert, die von der Firma Racke unter dem Etikett ,Amselfelder‘ vertrieben wurden.“ Damals wurden auch Qualitätsweine mit dem Label Viala produziert, dabei wurden Rebsorten wie der italienische Riesling, Pinot Noir und Sauvignon genutzt. Die guten Lagen hätten ausgezeichnete Weine hervorgebracht, es wurde Champagner produziert.

Aber Agim Hasku blickt in die Zukunft. „Vertreter der Firma Racke waren kürzlich hier, sie wollen uns helfen. Wir können auf einem niedrigen Niveau wieder anfangen, vielleicht schon bald wieder eine Million Liter exportieren.“ Er zeigt erneut auf die Weinberge. Die Stöcke wurden in diesem Jahr nicht geschnitten, Unkraut überwuchert die Ranken. „Es wird zwei bis drei Jahre brauchen, bis die Stöcke normalen Ertrag bringen“, fügt er hinzu.

Sorgen machten ihm die Zoll- und Transportprobleme. Früher, vor dem Krieg im ehemaligen Jugoslawien, sei der Wein in Containern per Bahn via Serbien, Kroatien und Österreich nach Deutschland geschafft worden, um dort in Flaschen abgefüllt zu werden. Dieser Weg sei jetzt abgeschnitten. Jetzt bliebe nur der Weg über Albanien und Makedonien.

„In Albanien sind die Straßen so schlecht, daß dieser Weg fast ausscheidet. In Makedonien müssen die Lastwagen tagelang warten, bis die Zollformalitäten abgewickelt sind, dann nochmals in Bulgarien und Rumänien.“ Kosovo selbst habe keine Zöllbehörden, damit seien nicht einmal die wichtigsten Papiere zu erhalten. „Wir können und wollen die ja nicht in Belgrad beantragen“, sagt Hasku. Weine dürften zudem nur mit einem Weinpaß exportiert werden, der von Brüssel anerkannt sein muß. Jene Institution, die in Jugoslawien berechtigt sei, Weinpässe auszustellen, sei aber in Belgrad.

Auch Irhan Hamza muß sich mit diesen Problemen herumschlagen. Der junge Mann aus alter Kaufmannsfamilie, die über Verbindungen in die Türkei verfügt, besitzt die größte Speiseeisproduktion im Kosovo, die noch im Vorjahr 600.000 Kilo Eiskrem verschiedener Marken in Lizenz produzierte. Die Firmengelder wurden zwar durch serbische Soldaten geraubt, fünf von sieben Produktionsanlagen zerstört oder abtransportiert, die meisten Lastwagen konfisziert. Doch Hamza, der Türkisch, Serbisch und Albanisch spricht, ist froh, daß er endlich ohne die Restriktionen der Belgrader Bürokratie loslegen kann. „Die Maschinen könnten ersetzt werden, auch wenn es weh tut. Früher mußte ich die Rohstoffe für meine Produkte über eine serbische Firma aus Griechenland importieren. Jetzt könnte ich dies direkt tun. Aber die Transportwege sind katastrophal.“ Die makedonischen Behörden ließen die Lkws mit den Rohstoffen, die er jetzt aus der Türkei beziehen will, teilweise sieben Nächte an den Grenzen warten. „Und pro Nacht verlangen sie 300 Mark Standgeld.“ Am liebsten würde er die Rohstoffe selbst produzieren. Dazu bräuchte er aber Milch. Die meisten Kühe im Kosovo seien jedoch geschlachtet oder von den Serben abtransportiert worden. „Wir brauchen Kühe, Milchproduktion, dann könnte ich Joghurt, eigentlich alle Milchprodukte hier im Kosovo herstellen“, schwärmt der agile Mann. Er habe sich schon überlegt, das Gelände einer stillgelegten Kooperative zu mieten und selbst Kühe zu halten. „ 640 Kühe könnten dort sofort hingebracht werden. Doch dazu fehlen mir die Mittel, zudem sind die Besitzverhältnisse noch unklar. Aber wir könnten es schaffen, vielleicht mit internationaler Hilfe.“

Große Sorgen mache auch das Bankensystem. „Wir mußten schon in den letzten Jahren alle Operationen mit Bargeld abwikkeln.“ Nachdem die Bank von Kosovo 1991 von Belgrad übernommen wurde, gab es keine anderen Möglichkeiten. Jetzt müsse ein neues Bankensystem unter internationaler Aufsicht entstehen. „Bisher kann kein Pfennig nach Kosovo überwiesen werden. Wir können unsere Zulieferer nicht über Banktransfers bezahlen. Wenn wir wieder auf die Beine kommen wollen, geht das in Zukunft so nicht weiter.“

Der Ruf Kosovos, es sei das Armenhaus Europas, „klebt wie ein Markenzeichen an uns und ist doch falsch“, hatte schon im vorigen Jahr der Schmuckproduzent Sali Kastrati erklärt. Kosovo sei von Belgrad im Stile einer Kolonie ausgebeutet worden. „Wenn wir Transportwege, Banken und Sicherheit haben, werden wir uns selbst helfen. Wir brauchen keine Almosen, nur die Möglichkeit loszulegen, vielleicht mit dem einen oder anderen Ratschlag und Kredit von internationaler Seite.“