Zur Strafe ins Kino

Wie die Deutschen nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs ihre Umerziehung zu Frieden und Demokratie erfuhren: Das Zeughauskino im Martin-Gropius-Bau zeigt an diesem und am nächsten Wochenende Reeducation- und Marshallplan-Filme  ■   Von Philip Bühler

Das Gepäck der amerikanischen Bildungsoffiziere, die 1945 mit ihrer Armee in Deutschland einrückten, barg schweres Gerät: Propagandafilme, mit deren Hilfe die Umerziehung der Deutschen zu Frieden und Demokratie ein Leichtes sein sollte. Mit den Disney-Studios und Hollywoodgrößen wie Frank Capra hatte das US-Kriegsministerium zusammengearbeitet, um im Rahmen seines umfangreichen „Reeducation-program“ auch einige Filme zu produzieren. „Nie mehr danach wurde der Film so zielgerichtet und auf so hohem Niveau für ein so propagandistisches wie ehrenvolles Anliegen eingesetzt“, glaubt Rainer Rother vom Deutschen Historischen Museum, das die Reihe im Rahmen seiner Ausstellung zu 50 Jahren Grundgesetz zeigt. Mit der Produktion dieser Filme begann das Office of War Information, Oversea's Branch, lange vor Kriegsende.

1944 drehte Josef von Sternberg mit „The Town“ seinen einzigen Dokumentarfilm, der die friedliche Koexistenz der Konfessionen in einem amerikanischen Städtchen pries. Frank Sinatra beehrte „The House I Live In“, der mit seinen elf Minuten sogar einen Oscar gewann. Und Disney steuerte nach dem Motto „Schwerter zu Pflugscharen“ einen Zeichentrickfilm zur Kulturgeschichte der Maispflanze bei.

Die Frage „Can the Germans be reeducated?“, so der Titel eines kleinen Ratgebers für den geneigten Umerzieher, war rhetorisch. Eine Abhandlung über deutsche Kultur und die Ursachen des Totalitarismus führte darin zum pädagogisch wertvollen Tip, dem preußischen Drill an deutschen Schulen durch die bevorzugte Einstellung von Lehrerinnen zu begegnen.

Doch was die Amerikaner bei ihrem Einmarsch in Deutschland sahen, machte alle wohlmeinenden Konzepte zur Makulatur. „Germany Awake! Deutschland erwache!“, eine hastige Montage der ersten Aufnahmen aus den eben befreiten Konzentrationslagern, ist ein historisch einmaliges Dokument der Anklage. Der Schock der Befreier entlud sich in einer brillanten Ansprache an die deutschen Kriegsgefangenen, denen der Film unter Zwang vorgeführt wurde, nicht selten mit vorgehaltener MP. Es verwundert nicht, daß sich die Geschlagenen diesen Beschwörungen der kollektiven und individuellen Schuld, des moralischen Versagens und der wohlverdienten Verachtung der Weltgemeinschaft zu entziehen versuchten. Doch ob das propagandistische Verfahren der Mnemotechnik, das den Soldaten die Vorwürfe und die Aufforderung, nie zu vergessen, durch quälend suggestive Wiederholungen für immer ins Gedächtnis brennen sollte, irgendeine Wirkung hinterließ, darüber herrscht bis heute Unklarheit.

Verzweifelt sucht der Leiter der Kinemathek Hamburg, Heiner Roß, der das Programm im Gropius-Bau kommentieren wird, nach den letzten Augenzeugen der aliierten „Gegenpropaganda“, die für ihn immerhin den Beginn der bundesdeutschen Demokratie, der „zweiten Chance“, darstellt. Zuwenig sei darüber bekannt, welche dieser Filme wie oft liefen, wieviele Zuschauer sie wirklich hatten und wie sie aufgenommen wurden. Und zu vieles verlaufe sich im Anekdotischen. Berichte, nach denen man in Bremen eine große Leinwand errichtete, vor der die Bevölkerung zusammengetrieben wurde, konnten bisher nicht verifiziert werden. Ebenso, daß es gelegentlich Lebensmittelkarten nur gegen eine abgestempelte Kinokarte gegeben haben soll. Als sicher gilt dagegen, daß in Steinfurt im Münsterland die gesamte Einwohnerschaft zum Kinogang gezwungen wurde. Machte jemand danach eine abfällige Geste oder machte sich gar ein Lächeln bemerkbar, wurde die betreffende Person in die nächste Vorstellung verwiesen. Eines will Roß jedoch ausschließen: Für die Behauptung, die Deutschen seien nach 1945 mit Filmen der „Reeducation“ geradezu „malträtiert“ worden, fehle jeder Beleg.

Anklagende Filme wie „Die Todesmühlen“ und „Germany Awake!“ wurden 1946 ohnehin aus dem Programm genommen. Der Blick richtete sich wieder nach vorn. Die Briten produzierten Aufklärungsfilme über ihr Wahlverfahren. Die Amerikaner begegneten 1948 deutschen Vorwürfen, nicht genügend für die Lebensmittelversorgung zu tun, mit der Dokumentation „Hunger“, die die Misere in Deutschland als Teil des Welthungerproblems darstellen wollte. Doch wenige Jahre nach Kriegsende war wohl die Grenze der Gegenaufklärung bereits erreicht. „Hunger“ fiel durch bei einem schon wieder ganz kritischen Publikum, das sich über die genauen Daten der letzten Erntevernichtung in den USA bestens informiert zeigte.

Während der Erfolg der „Reeducation“-Filme nur schwer nachzuvollziehen ist, läßt sich der Wert der amerikanischen Propaganda im eigenen Land sogar in Zahlen ausdrücken. Die unglaubliche Summe von 200 Millionen US-Dollar erbrachte der Spendenaufruf „Seeds of Destiny“, der die bedrückenden Folgen der Nazipolitik der verbrannten Erde in den von Deutschland überfallenen Nachbarländern veranschaulichte.

Nur wenige Jahre später profitierten die Deutschen selbst von der Werbekampagne zum Marshallplan, die die Amerikaner davon überzeugte, daß ihr Geld – ein Filmtitel: „Your Eighty Dollars“ – auch hier nicht zum Fenster hinausgeworfen wurde. Denn von nun an war jeder Dollar für Deutschland ein Dollar im Kampf gegen Moskau. Bedrohlich zelebrieren DDR-Grenzsoldaten in kurzen Hosen an einem Reck im Mauerstreifen „ihre kommunistischen Flip-Flops“. Eine neue Zeit.

30. 7. bis 2. 8.: Reeducation-Filme; am 7. und 8. 8: Marshallplan-Filme, jeweils 18.15 Uhr und 20.30 Uhr. Zeughauskino im Martin-Gropius-Bau, Niederkirchnerstr. 7, Kreuzberg

Manchmal soll es Lebensmittelkarten nur gegen eine abgestempelte Kinokarte gegeben haben