Der Beste bleibt der Hermann

taz testet die Liga (I): Der HSV spielt richtig Fußball und könnte es in den Uefa-Cup schaffen. Wenn sich die Hamburger Dreieinfaltigkeit zurückhielte. Aber tut sie das?  ■   Tester: Christoph Ruf

Hamburg (taz) – Der Hamburger SV hat nach dem 2:2 bei Trabzonspor reelle Chancen, sich im Rückspiel für ein UI-Cup-Finale zu qualifizieren. Ein weiterer Sieg gegen den Sieger aus Montpellier - Duisburg (1:1) und der Bundesligasiebte 98/99 (13 Siege, 11 Remis, 10 Niederlagen) wäre doch noch für den Uefa-Pokal qualifiziert. Dieses Ziel will man in der neuen Saison direkt realisieren.

Wird Fußball gespielt? Oh ja! Und das mit einem offensiv ausgerichteten 3-4-3-System, mit dem flexibler und offensiver gespielt werden soll. Bereits an den letzten Spieltagen der vergangenen Saison wurde damit Erstaunliches bewirkt: Das notorisch gelangweilte Hamburger Publikum applaudierte. Zuweilen.

Wie funktioniert das „3-4-3“? Die drei (3) Abwehrspieler stehen auf einer Linie, die klassische Libero-Position entfällt. Das 4er-Mittelfeld (4) konstituiert sich rautenförmig: Fabian Ernst ist einer der wenigen Stammspieler. Er sichert nach hinten ab und eröffnet so seinem Vordermann die Möglichkeit, sich ins Offensivspiel einzuschalten. Die beiden Außenpositionen sollen das schnelle Umschalten gewährleisten. Wenn sich die drei (3) Sturm-Planstellen vor dem Tor nicht ähnlich skurril verhalten wie in der vergangenen Saison Martin Dahlin (weg) und Jacek Dembinski (noch da), dürften mehr Tore fallen als die dürftigen 47 der prä-3-4-3-Spielzeit.

Wer hilft? Da kann der DFB noch so auf die zumindest formale Trennung von wirtschaftlichen und sportlichen Interessen bestehen und anordnen, daß Ufa-Mann Joachim Hilke von seinem Posten als Vizepräsident zurücktritt – an den realen Machtverhältnissen ändert das wenig. Die Interessen des HSV und die der „Filmrechteverwertungsgesellschaft“ sind identisch: Der HSV muß ins internationale Geschäft, damit sich der rund 170-Millionen Mark teure Stadionneubau im Volkspark amortisiert.

Gut, daß der mächtige Mann beim HSV immer schon dort funktionierte, wo man ihn hinbeorderte: Werner Hackmann ist als Ex-Innensenator ein typisches Produkt des Hamburger SPD-Filzes. Dennoch ist er kompetent – was weder von allen Sozis noch von allen Funktionären beim HSV zu behaupten wäre.

Wer stört? Zuletzt störte Rolf Mares. Der dritte Präsident in vier Jahren hatte nach endlosen Querelen mit dem Aufsichtsrat keine Lust mehr, seinen Namen für das formal höchste Vereinsamt bereitzustellen. Ein kleiner Triumph für den Aufsichtsrat des Vereines: Dort arbeiten mit Dr. Peter Krohn und Jürgen Hunke zwei Ex-Präsidenten. Letzterer schaffte es noch immer, seine jeweiligen Nachfolger zur Aufgabe zu bewegen. Er könnte zum Problem werden, wenn er es wagen sollte, Hackmann direkt zu attackieren. Verblendet genug dazu wäre er.

Taugt der Trainer? Frank Pagelsdorf ist zweifelsohne ein Grobcharismatiker. Seine fachliche Eignung hat indes noch nicht einmal die Hamburger Boulevardpresse anzuzweifeln gewagt. Deren Spielchen ist: „Niederlage: Trainer Scheiße, zwei Niederlagen: Trainer muß weg, Auswärtssieg: Pagel muß Bundestrainer werden.“ Daß er das seit mehr als zwei Jahren überstanden hat, hat er primär seiner Sturheit zu verdanken: Pagelsdorf läßt auch Spieler auf der Bank, die maßgeblichen Zeitungen als Top-Informanten gelten.

Taugt der Torwart? Ihm das Taugen abzusprechen, hieße, ihm zumindest ein Minimum an Charisma zuzubilligen. Wenn der Niedersachse Hans-Jörg Butt eine besondere Spezialität hat, dann die: Er kann auch in minutenlangen Interviews nichts sagen, das zu zitieren sich lohnen würde. Aber er hielt in der vergangenen Saison so gut, daß er es mittlerweile zur 1c der Nationalmannschaft gebracht hat. Und er verwandelte er in der vorigen Saison nicht weniger als sieben Elfmeter. Eiskalt, wie seinem Temperament entspricht.

Was tun die Neuen? In den bisherigen Testspielen gehörten sie zu den Besten: Die beiden iranischen Stürmer Vahid Hashemian und Mehdi Mahdavikia könnten ebenso Stammspieler werden wie Nico Kovac und Roy Präger. Rudolfo Esteban Cardoso mußte man mangels Interessenten behalten. Er scheint das Beste draus zu machen.

Wie schießt man Tore? Durch eine offensive Taktik (aha) und Spieler wie Tony Yeboah, um dessen veritables Alter sich einige Mythen ranken. Präger traf für Wolfsburg in zwei Jahren 22 Mal – das hätten Dahlin und Dembinski selbst dann nicht geschafft, wenn man ihre Gegner gezwungen hätte, den Platzwart ins Tor zu stellen.

Wer ist der Beste? Der Beste ist Masseur Hermann Rieger. Der Mann hat seinen eigenen Fanklub und ist allüberall beliebt. Wenn ihn nicht das schon verdächtig machen würde, dann der Umstand, daß nicht einmal Jürgen Hunke ihn absägen will.

Was folgt aus den Erkenntnissen? In einer Liga, in der bereits die Viererkette als Wichtigtuerei suizidal veranlagter Taktik-Freaks gilt, ist das Pagelsdorfsche System in der Tat innovativ. Daß Ajax Amsterdam seit Jahren so spielt, spricht nicht gegen Pagelsdorf – wohl aber gegen die Bundesliga.

Der gefühlte Tabellenplatz: Der HSV könnte einen Uefa-Cup-Platz erreichen. Eigentlich. Da er den aber (Hamburger Presse, Ufa, Hunke) erreichen muß, wird besagte Dreieinfaltigkeit nach der ersten Heimniederlage die Muskeln spielen lassen. Folge: Wieder bloßPlatz 7.