Klasse statt Kaste

■  Zum Fünfzigsten muß sich die Deutsche Journalistenschule entscheiden: Mit der Uni untergehen oder selbständig bleiben

Mitten in München herrschen indische Verhältnisse. In der Oettingenstraße, am Rande des englischen Gartens, residiert das Institut für Kommunikationswissenschaften der Uni München, dessen Studentenschaft sich fein säuberlich in verschiedene Kasten separiert: Oben stehen die Eleven, die von der renommierten Deutschen Journalistenschule (DJS) an die Uni entsandt werden. Es gibt eine mittlere Kaste von Studenten, die direkt von der Zeitung kommen, und schließlich jene, die „nur“ Kommunikationswissenschaften studieren. „Das ergibt schon eine komische Atmosphäre“, findet Journalistenschüler Christoph Maier.

Andere finden gar nicht mehr komisch, was sich in den Seminaren zuträgt. „Manche von uns lassen die Normalstudenten spüren, daß sie nur zweite Klasse sind“, mokiert sich Journalistenschülerin Antje Eichler über ihre KollegInnen. Inzwischen gibt es kaum noch ein Seminar, in dem eine akademische Atmosphäre herrscht. Die Eleven, sich als künftige Edelfedern betrachtend, spotten über das dürftige Niveau der Kommunikationswissenschaften. Die normalen Studis schwanken zwischen Anbiederung und Trotz gegenüber der eingespielten Gruppe vom Altheimer Eck, dem Sitz der Journalistenschule gleich neben der Süddeutschen Zeitung.

Ausgerechnet im Jahr des Jubiläums hat die komische Atmosphäre nun die Damen und Herren in den Führungsetagen erreicht. Hinter den Kulissen einer pompösen 50-Jahr-Feier der Journalistenschule, die heute im Münchener Prinzregententheater steigt, wird um die Zusammenarbeit von Universität und Journalistenschule gerungen. Die Professoren wollen sich ihre Seminare nicht länger von arroganten Journalistenschülern kaputtmachen lassen. Ein neuer Studiengang soll her, der auf das ganze Spektrum der begehrten Jobs in der Kommunikationsbranche vorbereitet: Public Relations, Journalismus, Multimedia, Medienökonomie. Die neue Struktur des Medienstudiums aber, das die ersten Hürden in den Uni-Gremien bereits genommen hat, ließe das ausgefeilte Auswahlverfahren für die Journalistenschüler nicht mehr zu – die DJS wäre ihres Herzstücks beraubt.

In der „Schule“, wie die Kaderschmiede der deutschen Journaille kurz genannt wird, weiß man allerdings sehr genau, wer das eigentliche Zugpferd der Kommunikationswissenschaften (KW) ist – die handverlesenen Journalistenschüler. „Wir schauen uns genau an, wen wir ausbilden“, sagt Mercedes Riederer, die Leiterin der Journalistenschule. Am Altheimer Eck wird nur angenommen, wer eine sehr gute Reportage verfaßt. Zwischen 800 und 1.200 Bewerber versuchen sich alljährlich an der Königsdisziplin des Journalismus. Wer auch die zweite Auswahlrunde besteht, hat einen der 45 begehrten Plätze erklommen.

„Wir haben keine Pläne, an diesem Auswahlverfahren etwas zu ändern“, betont Riederer, und sie sagt das ziemlich vorsichtig, weil sie weiß, daß ihre Verhandlungsposition gegenüber den Professoren nicht die beste ist. Das KW-Institut ist zwar in der Wahrnehmung der Studenten – und vieler Praktiker – nur der Wurmfortsatz der Journalistenschule. Tatsächlich aber ist das Institut der potenteste Geldgeber der klammen Eliteeinrichtung. Mehr als ein Drittel des 1,2-Millionen-Etats der DJS steuert die Universität bei. Der Rest stammt von knapp 50 Sponsoren. Die sind illuster – Verlage finden sich ebenso darunter wie der öffentlich-rechtliche Rundfunk, auch das Bundespresseamt und Parteien geben Geld für die Journalistenausbildung in München. Das Problem ist nur: Die Sponsoren geben nicht genug.

So nähert sich eine der wenigen anerkannten Eliteeinrichtungen der Republik dem beklagenswerten Zustand der Universität. Erst 1995 machten die letzten der legendären „Gabriele“-Schreibmaschinen vernetzten Bildschirmarbeitsplätzen und einem neuen Redaktionssystem Platz. Digitale Kameras stehen erst seit Anfang dieses Jahres am Altheimer Eck. Hin und wieder kehrt sogar ein Schreibtalent der Schule wieder den Rücken – aus finanziellen Gründen, es mangelt an genügend Stipendien. Die Journalistenschule, eine von den US-amerikanischen Besatzungstruppen inspirierte Gründung, hat die in den Staaten übliche finanzielle Unabhängigkeit nicht wirklich geschafft. Für das überlebenswichtige Fund-Raising steht den Privat-Unis jenseits des großen Teichs eigenes, spezialisiertes Personal zur Verfügung. An der Journalistenschule muß auch das Mercedes Riederer bewerkstelligen – die Leiterin, gute Seele und Karriereberaterin in einem ist.

Dabei bietet die Schule immer noch exquisite Möglichkeiten. In den 15köpfigen Lehrredaktionen schauen den Ausgesuchten die Großen des deutschen Journalismus über die Schulter: Hans-Ulrich Kempski, Herbert Riehl-Heyse, Axel Hacke. Vor allem die Süddeutsche, das Flaggschiff des unabhängigen Journalismus hierzulande, stellt die Lehrer. „Die kümmern sich um die Nachwuchsschreiber“, berichtet DJS-Absolvent Kurt Kister, „es werden exklusive Praktikumsplätze angeboten – und es entsteht ein Netzwerk von Absolventen“. Kister ist ein Beispiel dafür, wie es einen Schüler nach oben katapultieren kann. Von der Schule ging er direkt zur SZ, von der Seite 3 wechselte er nach Washington. Jetzt ist er 42 und leitet das Berliner Parlamentsbüro. Die bekanntesten der knapp 1.600 Absolventen sind TV-Journalisten wie Peter Dudzik oder Günther Jauch. Die Journalismus-Preisträger, die die Schule hervorgebracht hat, sind kaum zu zählen.

Innerhalb der DJS-Klassen ist man sich uneins, wie die Pläne des Instituts für Kommunikationswissenschaften zu bewerten sind. Die einen lehnen den für Herbst 2000 geplanten Bachelor-Studiengang grundlegend ab. Journalistenschüler und Fachschaftssprecher Janis Vougioukas empfiehlt, „sich ganz von der Uni zurückzuziehen, weil das ein anderes Konzept und eine Schwächung der Schule wäre“. Seine Kollegin Antje Eichler hält es für völlig falsch, „die DJS einfach von der Uni abzuschneiden“. Sie befürchtet, daß dann theoretische Reflexion des Journalismus und Erörterung ethischer Fragen verlorengehen.

Für die Journalistenschule wird es indes höchste Zeit, eine Position zu formulieren. Offiziell sagt Heinz-Werner Stuiber, Kommunikationsprofessor an der Uni, es bestehe keine Absicht, die gute Zusammenarbeit aufzukündigen. Intern aber äußert sich Stuiber anders. „Für jemanden, der von vornherein weiß, daß er Journalist werden will, ist das neue Konzept nicht geeignet“, hat er Studenten deutlich gemacht. Das hieße, die DJS wird ausgebootet. Vielleicht ist es bald vorbei mit den indischen Verhältnisse in der Oettingenstraße. Christian Füller

In den 15köpfigen Lehrredaktionen schauen den Ausgesuchten die Großen der Branche über die Schulter