Mit Greta im Mustopf

Konfitüren müssen weder zuckerschwer noch fest sein. Das beweist Berlins beste Marmeladeköchin, die makelloses Obst zu wahren Fruchtgranaten einkocht  ■ Von Eberhard Schäfer

Süß strömt der Duft durch die weitläufige Wohnung, schwül wabert's durch die Küche. Auf dem Herd köchelt sanft ein orangefarbener Brei. Mit einem langstieligen Holzlöffel durchpflügt Margarethe Fonfara, genannt Greta, alle paar Minuten das dampfende Aprikosenpüree: „Damit es nicht ansetzt.“ Eine gute halbe Stunde läßt sie das Mus aus frischen Früchten im edelstählernen Achtliterkochtopf wallen.

In Gretas lichter Altbauküche entstehen Konfitüren mit Feinschmeckerruf: Die Klassiker aus heimischem Beerenobst sind hier ebenso versammelt wie eine ausgefeilte Erdbeer-Basilikum-Kreation oder eine Himbeere-Vanille-Mischung. Zum Repertoire gehören aber auch exotische Kompositionen aus Limonen und Weißwein oder Passionsfrucht mit Kumquat. Was Margarethe Fonfara vor acht Jahren als Entspannungsübung begann, ist der studierten Sozialwissenschaftlerin zur leidenschaftlichen Profession geworden. Inzwischen gilt sie als Berlins beste Marmeladeproduzentin.

Ungewöhnlich sind Gretas Konfitüren allesamt: dicke, dichte Konzentrate. Der Fruchtanteil liegt bei mindestens achtzig Prozent, während bei Industrieware eher fünfzig Prozent üblich sind. Der Geschmack ist unglaublich fruchtig. Die Erdbeerkonfitüre etwa erinnert an das selbstgekaute Mus, wenn man eine Handvoll frisch geernteter Früchtchen gierig in den Mund stopft.

Insgesamt umfaßt das Fonfarasche Sortiment knapp fünfzig Sorten. Ihre Lieblingskonfitüre besteht aus Schwarzen Johannisbeeren mit etwas Cassislikör. „Es gibt keine bessere“, meint die ansonsten nicht zum Selbstlob neigende Mittvierzigerin. Ihre Jahresproduktion liegt bei 15.000 Gläsern. Die vermarktet Fonfara auf ebenso simple wie exklusive Art: Sie verkauft sie selbst. Jeden Samstagvormittag steht Greta Fonfara auf dem Wochenmarkt in Berlin-Charlottenburg. Für 5,50 bis 6,50 Mark wechseln die 250-Gramm-Gläser die Besitzer. Stammkunden kommen aus dem Kiez, reisen aber auch aus ganz Berlin an.

Fonfara schüttet ein paar Beutelchen Pektin, Marke Doktor Oetker, in die köchelnde Aprikosenmasse. Gut durchrühren! Das Pulver aus Apfel- und Grapefruitkernen macht den Früchtesud homogener. „Pektin konserviert auch“, weiß Fonfara. Große Zuckermengen, wie Großmutter sie benutzte, seien heutzutage unnötig, wenn man Grundprodukte benutze, die vollreif und unverdorben seien. Druckstellen werden nicht toleriert. Das zweite Gebot: peinlichste Sauberkeit. Jedes Glas wird vor dem Abfüllen noch einmal kochendheiß gespült. Konserviert wird auch in den Marmeladefabriken: nicht nur mit Waggonladungen von Billigzucker, sondern auch mit der aus der Weinbranche bekannten schwefligen Säure. Wenn der Verbraucher im übrigen auf dem Etikett Bestandteile wie „Früchte“ oder „Saft“aufgedruckt sieht, dann darf er darunter getrost hitzesterilisierte Konserven und Saftpulver verstehen.

Um die Gewinnspanne zu liften, suchen die Scouts der Marmeladenmultis außerdem stetig nach billigen, nicht unbedingt guten Obstanbietern: 75 Pfennig zahlen sie für das Kilo Johannisbeeren, nur 50 Pfennig für Sauerkirschen. Auf diese Preise lassen sich meist nur noch polnische oder russische Erzeuger herunterhandeln. Greta zahlt gerne mehr. Bei ihr zählt die Qualität, nicht der Preis.

Beste Aprikosen kommen in diesen Wochen auf den Markt; insgesamt 200 Kilo wird die Heimarbeiterin vermusen. Greta kauft sie beim Händler ihres Vertrauens, Herkunft Griechenland, Sorte „Bebeco“: Fest sind sie, aber dennoch voller Saft und – voll aromatisch. Greta schüttet etwas Zucker in den blubbernden Aprikosenbrei. Auf die acht Kilo Früchte im Topf kommen 750 Gramm Süßungsmittel: So steigt der Fruchtgehalt auf mehr als neunzig Prozent. Ob die Konfitüre da nicht doch etwas sauer wird? Außer guten Früchtchen braucht Greta für ihre Produktion vor allem eins: Strom.

Ein Dutzend Tiefkühltruhen nennt sie ihr eigen. Sie stehen republikweit verstreut: In der Heimat Timmendorf an der Ostsee kümmert sich die Mutter um die seltenen, kleinwüchsigen Erdbeersorten „Hanoi“ und „Corona“. Eine Freundin im holsteinischen Husum ist zu Gretas offizieller Himmbeerbeauftragten avanciert, und die Schwiegermutter im Fränkischen trägt Verantwortung für die Brombeerernte. Mit Hilfe solch umfänglicher Logistik und gut vernetzter Verwandtschaft verfügt Greta stets über genügend Vorrat, um auch außerhalb der Saison köcheln zu können. Nicht verraten will sie, woher die schwarzen Johannisbeeren kommen, Grundstoff ihrer Lieblingskonfitüre. Nur soviel: In Brandenburg, irgendwo Richtung Westen, wächst der Stoff für ihren Favoriten.

Auf dem heißen Aprikosenmus im Topf steht unterdessen ein feiner Schaum. Langsam steigt er zum Topfrand. Steht er einen Zentimeter darüber, streift Greta ihn mit einer Kelle ab. Bei den großen Marmeladenkochern ist das nicht notwendig: Dort setzt man auf chemische Schaumverhüterli namens „Mono-Diglycerid“. Alles ganz harmlos, versteht sich. Konfitüremachen in Heimarbeit ist ein Knochenjob: „Das Kochen ist das Wenigste“, sagt die athletische Frau mit der Kurzhaarfrisur, obwohl ihr das ständige Rühren einen Tennisarm beschert hat. Waschen, Schneiden, Entsteinen, Frucht für Frucht. Bei Aprikosen geht das noch, aber „nächste Woche sind die Sauerkirschen dran, das wird eine Riesensauerei“. Wände und Schränke werden vorsorglich mit Malerfolie abgeklebt, bevor die Frucht mit dem blutroten Saft einzeln entkernt wird. Ihren Kirschentsteiner hat Greta selbst konstruiert. Die schlichte Gerätschaft sieht aus wie eine verlängerte Büroklammer im Weinstopfen und verrichtet doch anstandslos ihren Job. „Was es zu kaufen gab, war alles Mist!“ Zerquetscht hätten sie die zarten Früchte, und noch mehr Saft sei durch die Küche gespritzt.

Jetzt nähert sich das große Aprikosenfinale. Greta macht kräftig Feuer unterm Topf, stellt auf größte Flamme. Dreißig Sekunden lang kocht der orangefarbene Brei laut blubbernd hoch. Dann schnell runter vom Feuer. Mit dem Marmeladelöffel wird eine Probe genommen und gekostet. Wunderbares Aprikosenaroma, mit einer dezenten Bittermandelnote, aber vielleicht doch etwas säuerlich. Lag es an den Aprikosen? Der Rest der Zukkerpackung kommt doch noch in den Topf. Gut umrühren! Für achtzig Prozent Fruchtanteil reicht's allemal. Auf der nach oben offenen Biolek-Skala ergibt das mindestens drei „Mmmmhhhh“!

Greta Fonfara verkauft ihre Konfitüren jeden Samstag von 9 bis 14 Uhr auf dem Wochenmarkt am Karl-August-Platz in Berlin-Charlottenburg.