Angst vor Cindy & Bret

Ein knappes Jahr ist es her, da fegten zwei gewaltige Hurrikans mit ungeheurer Wucht durch die Karibik. Tropische Wirbelstürme wie „George“ und „Mitch“ sind Naturphänomene, die regelmäßig zwischen Juni und November auftreten. Schon kurz nach der Entdeckung Amerikas berichteten Spanier von gigantischen Stürmen vor den Küsten Mittelamerikas. Neu ist nur die Häufigkeit, mit der die gefährlichen Stürme in den letzten Jahren auftreten. Wird die beginnende Hurrikansaison wieder so verheernd wie 1998? Ein eport  ■ Von Hans-Ulrich Dillmann

Die Schäden, die Hurrikan „George“ im September des vergangenen Jahres in Puerto Rico hinterlassen hat, sind noch immer nicht vollständig beseitigt. In Canóvanas, einem Vorort der Hauptstadt San Juan, stößt man auch neun Monate nach der Katastrophe noch auf eingestürzte Hauswände und heruntergerissene Stromtransformatoren. Von den 32.000 Menschen, die ihr Obdach damals verloren, leben nach wie vor 125 Familien, 405 Menschen insgesamt, in Notunterkünften. „El diabolo George“, der „Teufel George“, hat auf der Nachbarinsel Hispaniola mehr als fünfhundert Tote gefordert – etwa dreihundert in Haiti und vermutlich über zweihundert in der Dominikanischen Republik.

Während es sich die deutschen „All inclusive“-Touristen in den Hotels wieder gutgehen lassen, sind an der Küstenpromenade der Hauptstadt Santo Domingo, dem Malecón, noch immer die Folgen der verheerenden Winde zu sehen. Dürre entlaubte Palmenstämme recken sich wie Zahnstocher in den Himmel. Auch in Honduras hat sich nach dem Katastrophensturm „Mitch“ das Leben bis heute nicht wieder vollständig normalisiert. Knapp zwei Monate nach seinem „Vorgänger“ George fegte er über die mittelamerikanischen „Bananenrepubliken“ hinweg und verursachte nach bisherigen Schätzungen Schäden in Höhe von 13 Milliarden Mark. Etwa 13.000 Mittelamerikaner dürfte der Hurrikan in den Tod gerissen haben.

Während sich die Karibik und die Staaten Mittelamerikas nach wie vor nicht von den Folgen der vergangenen Sturmperiode erholt haben, sind Meteorologen und Katastrophenhelfer der Region längst auf die neue Hurrikansaison vorbereitet. Die beginnt schon im Juni. Die Prognosen sind auch für dieses Jahr alles andere als ermutigend. William Gray von der Colorado State University in Fort Collins schaut mit Skepsis in die Zukunft: „Ich befürchte eine ähnlich aktive Hurrikansaison wie im vergangenen Jahr.“ Auch Hugh Willoughby sieht wenig Grund für Optimismus. Der Chef der Forschungsstelle für Hurrikans an der „National Oceanic and Atmospheric Administration“ in Miami fürchtet für die Zeit bis Ende November wieder erhöhte Sturmgefahr: „Wir bereiten uns auf den schlechtesten Fall vor.“

Ludwig Latif vom Hamburger Max-Planck-Institut für Meteorologie möchte sich diesen pessimistischen Prognosen nicht so ganz anschließen. Die Zahl der sich entwickelnden Atlantikstürme werde zwar „leicht über dem Durchschnitt liegen“, der Wetterforscher hofft aber, daß sich den „Sturmmonstern George und Mitch“ in diesem Jahr keine weiteren dazugesellen werden. William Gray schätzt die Zahl der sich in diesem Jahr voraussichtlich über dem Atlantik bildenden „gefährlichen Wetterlagen“ auf 14 Stürme und 9 Hurrikans. 1998 registrierten die Wissenschaftler in Miami zehn Hurrikans und vier tropische Stürme. Seit 1994 hinterließen insgesamt 53 große Stürme, 32 Hurrikans und 15 besonders schwere Hurrikans eine Schneise der Verwüstung auf den Kleinen und Großen Antillen. Eine Rekordzahl für die letzten zweihundert Jahre.

Hurrikans sind gigantische Tiefdruckwirbel, die Ausdehnungen bis zu fünfhundert Kilometern haben können. Im Zentrum des tropischen Wirbelsturms befindet sich das sogenannte Auge, in dem nahezu Windstille herrscht und das einen Durchmesser von fünfzehn bis dreißig Kilometern, in Ausnahmefällen auch von siebzig Kilometern, hat. Die infernalischen Winde und Regenfälle richten ungeheure Verwüstungen an, reißen alles mit sich, zerstören Häuser, machen Städte und Dörfer dem Erdboden gleich.

Anhand der sogenannten Saffir-Simpson-Skala werden die tropischen Winde klassifiziert. Wolkenformationen und Winde mit Geschwindigkeiten von 35 bis 62 Stundenkilometern bezeichnen Meteorologen als „tropische Depression“. Bei Windgeschwindigkeiten von 63 bis 118 Stundenkilometern spricht man von einem tropischen Sturm. Erst Stürme von mehr als 119 Stundenkilometern nennen die Wetterprognostiker Hurrikans – es gibt fünf Kategorien. Bei über 249 Stundenkilometer beginnen jene zerstörerischen Katastrophenwinde, die im Vorjahr unter dem Namen „George“ und „Mitch“ so viel Unheil verursachten.

„Die anhaltende Erwärmung der Ozeane wird uns auch in den kommenden Jahren vermehrt Hurrikans bescheren“, ist sich Gray sicher. Klimaveränderungen macht auch Wetterforscher Latif für die stürmische Entwicklung auf dem Atlantik verantwortlich. Allerdings hätten aktuelle Temperaturmessungen im Pazifik eine leichte Wassererwärmung ergeben. Die davon beeinflußten Winde bewirken wiederum über dem Atlantik, daß die sich zu Stürmböen auftürmenden Wolkengebilde auseinandergerissen werden. „Wir wissen“, sagt Ludwig Latif, „daß bei ansteigenden Wassertemperaturen im Pazifik aufgrund der Windentwicklung die Hurrikanbildung im Atlantik abgeschwächt wird. Das gibt Grund zum Optimismus.“ Aber auch die Forscher am Max-Planck-Institut für Meteorologie haben festgestellt, daß in diesen Wochen die Wassertemperatur des Atlantiks jenem Schwellenwert bedenklich nahe gekommen ist, der das Entstehen von Sturmwetterlagen begünstigt. Die tropischen Wirbelstürme bilden sich durch die Verdunstung riesiger Wassermengen. Latif: „Der kritische Grenze liegt zwischen 27,5 Grad Celsius und 28 Grad.“ Auch die Kinderstube dieser Naturgewalten kennen die wissenschaftlichen Wetterfrösche sehr genau. Sie liegt zwischen fünf Grad nördlicher und fünfzehn Grad südlicher Breite beiderseits des Äquators.

Im Lauf der Jahre begannen die Chronisten den karibischen Naturgewalten Namen nach dem Heiligenkalender zu geben, später waren es die Namen von Priestern und Mönchen, mit denen die jeweiligen Stürme tituliert wurden. In den fünfziger Jahren dann wurden alle Unwetter, die zur Kategorie eines tropischen Sturms zählten, von den Meteorologen mit Frauennamen bezeichnet. Der fragwürdigen Angewohnheit haben die Wetterfrösche nach Protesten von Frauen mittlerweile abgeschworen. Nunmehr bekommen die möglicherweise auftretenden Wirbelstürme abwechselnd in alphabetischer Reihenfolge Frauen- und Männernamen.

Der Name „Hurrikan“ stammt aus dem karibischen Sprachraum. Die in der Karibik ansässigen Tainos bezeichneten mit dem Namen huracán tobende Winde, die alles unter Wasser setzten und die Palmblatthütten der Einheimischen durch die Luft wirbelten – gefürchtet von den Ureinwohnern, lange bevor die spanischen Konquistadoren zum ersten Mal ihren Fuß in jene Gegend setzten. Schon Christoph Kolumbus machte unangenehme Bekanntschaft mit diesen bis dahin in Europa unbekannten Naturgewalten. 1495 verlor die spanische Flotte bei einem dieser huracáns einen Teil ihrer Schiffe, die vor der Insel Hispaniola vor Anker lagen. Mit ihnen war ein Kolumbus-Bruder auf die Insel gekommen. Der Mönch Cipriano de Utrera, Augenzeuge der Katastrophe, beschrieb in seiner Chronik einen „schrecklichen Sturm“, der alle bisher gekannten „göttlichen Plagen“ bei weitem übertroffen habe.

Sieben Jahre später fegte ein anderer Zyklon über die Karibikinsel. Christoph Kolumbus, der damals bereits beim spanischen König in Ungnade gefallen und durch Nicolás de Ovando als königlicher Statthalter ersetzt woden war, durfte mit seiner Flotte nicht in Santo Domingo Schutz suchen. Glück im Unglück: Er mußte in einer anderen Bucht ankern. Seine Raubflotte überstand den Sturm. Die Flotte seines spanischen Erobererkonkurrenten Bobadilla, der von seinem Raubzug nach Kolumbien mit reicher Beute zurückgekehrt war und in der „ersten Stadt Amerikas“ Station machte, ging in den tobenden Wogen unter.

Die Zeiten unvorhergesehener Wirbelstürme sind vorbei. Die Wettervorhersage hat sich in den zurückliegenden Jahren dank hochmoderner Satellitenbeobachtung und computergestützter Meteorologie wesentlich verbessert. Die Wetterforscher sind heute in der Lage, bereits im voraus die mögliche Häufigkeit von Wirbelwinden zu berechnen. Sobald sich über dem Atlantik wieder Wolken zu einem tropischen Sturm anhäufen, starten von der „Kessler Air Force Base“ in Biloxi in Mississippi mit hochempfindlichen Meßgeräten ausgestattete Flugzeuge. Die Männer von Captain Lance Oakland wagen sich dann mit ihren Lockhead-Martin-Maschinen vom Typ „WC-130“ in einem wahren Husarenritt ins Auge des Sturms, um mit Radar den Umfang und die Form der Wetterfront vermessen und vor allem dessen Weg über den Atlantik in Richtung Karibik und Mittelamerika berechnen zu können. Je langsamer sich ein Wirbelwind auf seinem Weg in Richtung Westen bewegt, um so mehr Windstärken zentriert er in sich und um so gefährlicher und zerstörerischer wird er.

Der erste tropische Sturm der beginnenden Hurrikansaison ist bereits an den Bermudainseln vorbeigezogen, ohne nennenswerte Schäden anzurichten: Arlene. Zwanzig weitere Namen sind in diesem Jahr für die tropischen Stürme über dem Atlantik vergeben worden: Bret, Cindy, Dennis, Emily, Floyd, Gert, Harvey, Irene, Jose, Katrina, Lenny, Maria, Nate, Ophelia, Philippe, Rita, Stan, Tammy, Vince und Wilma. Einige dieser Namen werden in den Zeitungsberichten der kommenden Monate wiederauftauchen, wenn ihre tobenden Winde auf dem Weg über den Atlantik durch die Karibik nach Mittelamerika eine Spur der Verwüstung und Tote hinterlassen haben.

Hans-Ulrich Dillmann, 47, arbeitet für die „Allgemeine Jüdische Wochenzeitung“ und „Jungle World“