Verlorener Stolz

Wolfgang Engler, Dozent für Soziologie an der Schauspielschule „Ernst Busch“ in Berlin, hat ein bemerkenswertes Buch geschrieben. Es heißt Die Ostdeutschen (Aufbau-Verlag, Berlin 1999, 350 S., 39,90 Mark) und beansprucht, „eine Kunde von einem verlorenen Land“ zu geben. Es ist die DDR, von der als jenem untergegangenen Land die Rede ist.

Der Autor, der auch gelegentlich in der taz schreibt, erzählt die verschwundene Arbeiter- und Bauernrepublik nicht aus der Perspektive des Maueropfers oder des Stasigeschädigten. Davon ausgehend, daß es unabhängig von den totalitären Strukturen der DDR auch eine zivile, Engler würde sagen: arbeiterliche Gesellschaft gab, wird in zwölf Essays über ein System Auskunft gegeben, das dem gewöhnlichen Altbundesdeutschen fremd sein muß.

Da ist die Rede vom Stolz und von der Renitenz der Arbeiter, von ihrer Neigung, sich nicht einschüchtern zu lassen durch ihre Brigadeführer; da wird von Frauen erzählt, die im Lauf von vier Jahrzehnten DDR lernen konnten, dem Manne nicht mehr untertan zu sein; da wird von der Not des SED-Regimes gesprochen, Einvernehmen und Einverständnis mit den Staatsbürgern zu organisieren – und organisieren zu müssen.

Gleichheit, so Engler, war der wichtigste Anspruch der DDR-Gesellschaft: Niemand durfte zuviel haben, keiner durfte sich allzu steil aus dem Fenster hängen. Nur so wurde dem einzelnen Schutz vor den Zumutungen des Staates zuteil; nur auf diese Weise war es möglich, den einzelnen, war er gestrauchelt, zu reintegrieren: Das Kollektiv war (fast) alles.

Am Ende scheiterte die DDR an dem, was alle Gesellschaften auszeichnet, egal ob kapitalistisch oder planwirtschaftlich, demokratisch oder sozialistisch verfaßt: am untilgbaren Willen der einzelnen, sich dem großen Ganzen nicht mehr gänzlich unterordnen zu wollen, sich zu individualisieren, zu differenzieren – dem Kollektiv also auch zu entfliehen. 1989 war die eingehegte DDR zu klein für die Sehnsüchte und Begierden von sechzehn Millionen Menschen.

Gelegentlich bleibt der Autor etwas ungenau, auch beim Thema Sex. Trotzdem ist ihm eine brillante Länderkunde zum Thema DDR gelungen. JaF