Ferien von Barmbek

Dieser Stadtteil bleibt bunt: Sommer im Schanzenviertel zwischen Klischee und Urlaub. Die von außen finden es am besten  ■ Von Peter Ahrens

Im S-Bahnhof Sternschanze hat das Literaturhaus wie überall in der Stadt Gedichte plakatiert. Da steht von Brecht: „Ich bin nicht gern, wo ich herkomme.“ Und gegenüber jammert Thomas Brasch: „Da wo ich bin, will ich nicht bleiben.“ Beides nicht sehr schmeichelhaft fürs Hamburger Schanzenviertel. Aber wenn man aus dem Bahnhof herauskommt und sieht als erstes den Verkaufsstand, wo Wackeldackel, das Herz Jesu und alle anderen Scheußlichkeiten dieser Welt verhökert werden, ist man gleich so heiter gestimmt, daß einem Brecht und Brasch den Buckel herunterrutschen sollen. Das Schanzenviertel ist im Sommer einfach gut.

Hinnerk Janssen – ein Name wie ein Fischbrötchen. Hinnerk Janssen ist 58 Jahre und lebt und schafft in Barmbek. Weiß Gott kein Typ, dem man das Etikett Schanzengänger aufkleben würde. Mit der Alternativszene hat er nie was am Hut gehabt. Und trotzdem fährt er im Moment zwei- oder dreimal die Woche ins magische Dreieck zwischen Schanzenstraße, Schulterblatt und Susannenstraße. Barmbek ist ihm am Abend zu langweilig, sagt er. So kommt er her, ißt „irgend etwas aus dem Süden“, schaut sich die Leute an und fühlt sich wohl. Die Schanze zieht an: Wenn der Tag geht und es trotzdem noch Sommer ist, kommen sie von außen: Die BarmbekerInnen, die EppendorferInnen oder die aus Altona.

Hinnerk Janssen sagt: „Vielleicht ist es am angenehmsten, wenn man ins Schanzenviertel geht, trinkt sein Bier und fährt dann irgendwann später wieder heim, als hier zu wohnen.“ Vielleicht hat er recht. Die AbendschwärmerInnen picken sich die Rosinen der Schanze heraus: Sie trinken portugiesisches Bier, sitzen draußen oder diskutieren mit wichtigem Gesicht und Wim-Wenders-Brille auf der Nase im „Saal II“ am Schulterblatt die Unterschiede zwischen europäischem und amerikanischem Kino. Dann setzen sie sich in die letzte U-Bahn und fahren nach Hoheluft zurück.

Hanna Planitz ist nicht so eine. Klar, die ganzen ausländischen Restaurants, die türkischen Gemüseläden, die Kramgeschäfte, wo man alles bekommen kann – das findet sie alles gut. Und deswegen kommt die 34jährige auch gern von Altona, wo sie wohnt, herüber und setzt sich ins Café. Doch dann rührt sie in ihrem Cappuccino, zieht ihre kritische Miene auf und sagt: „Ich finde, die Schanze verändert sich.“

Sie verändert sich, indem Filmproduktionen Einzug halten, Multimediafirmen sich Büros am Schulterblatt suchen und die eine oder andere Yuppie-Kneipe auftaucht. Der Spruch an einem Haus in der Schanzenstraße: „Diese Wand bleibt bunt“ wirkt dadurch nur noch trotziger. Das ist noch keine dramatische Umwälzung, das Schanzenviertel ist noch keine Boomtown 2000, aber es geschieht. Für Existenzgründungen, für die Wirtschaftskraft ist das gut, Hanna Planitz gefällt es nicht. „Ich hab die Sorge, daß es bald mal super-chic sein wird, Schanzenviertler zu sein.“ Dann wird sie ihren Cappuccino woanders trinken, droht sie noch an.

Bis jetzt muß sie das noch nicht. An Sommerabenden spürt man von Veränderungen im Viertel fast nichts. An solchen Sommerabenden stimmt das Bild noch, was man sich von der Schanze malt: Multikulti, ein bißchen Süden im Norden, der freundliche dicke Mann am Kebab-Imbiß und so weiter. Mindestens so ein fettes Klischee wie das vom Schanzenviertel als dem großen Drogenumschlagsplatz, aber viel wahrer. Wer von der Schanze als dem Hort des Verbrechens oder sogar vom rechtsfreien Raum spricht, war an Sommerabenden noch nie da, sondern kennt die Realität nur aus der Zeitung.

Es sind diese Abende, die Leute wie Hinnerk Janssen dazu bringen zu sagen: „Es ist ein bißchen wie Urlaub. Ich wüßte nicht, wo ich im Sommer lieber wäre.“ Man kann Hinnerk Janssen verstehen.