Von wegen Langeweile

■ Im kinderreichen Kattenturm gibts ein ehrgeiziges Sommerprogramm : Vom Burgen bauen bis zum Pflegepferd striegeln ist alles dabei

„Schöne Ferien“, hatte ihm sein Berufsschullehrer am letzten Schultag zugerufen. Aber Scansi freute sich gar nicht über die freien Tage. „Sechs freie Wochen in Kattenturm, das heißt sechs Wochen Langeweile. Da gehe ich lieber zur Schule“, sagt der 17jährige Metall-Azubi. Geld für eine Urlaubsreise haben er und seine Familie nicht. So wie ihm geht es vielen Freunden und Nachbarskindern in Kattenturm oder umliegenden Ortsteilen. „Die meisten Kinder im Stadtteil fahren höchstens zu Verwandten“, bestätigt Katrin Urban, Leiterin einer offenen Zirkusgruppe im Hort. Jugendgruppenleiter und Fußballtrainer dagegen fliegen gen Süden. Die Folge: Das Freizeitprogramm vor allem für kleinere Mädchen und Jungen neigt sich gen null. Um das zu verhindern, haben sich neun Organisationen in Kattenturm, Habenhausen und Obervieland dieses Jahr wieder mächtig ins Zeug gelegt und einen sechswöchigen „Ferienzauber“ auf die Beine gestellt.

Wochenweise können Kinder vom Knirps bis zum Teenie Theater spielen, beim Break Dance Arme und Beine verdrehen, mit einem Künstler auf der Jugendfarm ein riesiges Holzschiff zimmern und vieles mehr. Der Knüller: Alle Angebote sind umsonst. Der Beirat Obervieland und die Senatorinnen für Soziales und Sport bezahlen die Pädagogen und das Material. Damit nicht genug. Einige JugendleiterInnen bieten außerdem Fahrradtouren, Fußballspiele auf der Straße, Hüttenbau und und und.

Das umfassendste Programm bietet dabei die Kinder- und Jugendfarm. Das Paradies für Kinder und Jugendliche ist von morgens bis abends geöffnet – zum Werkeln, Toben, Tiere pflegen, unter Bäumen klönen oder im Freien übernachten. Nur Mittags ist die Farm für eineinhalb Stunden dicht. „Dann müssen sich die Tiere ausruhen“, erklärt Susanne Molis von der Farm. Die 14jährige Skandi kommt jeden zweiten Tag hierher. „Meine Freundinnen sind alle im Urlaub, das ist echt blöd“, erklärt das Mädchen und zieht die rote Striegelbürste kräfig über den Rücken des weißen Ponys Bondie. „Aber hier ist es klasse, hier habe ich ein Pflegepferd.“ Skandi kommt aus Kattenturm. „Da gibt's gar nichts, was ich machen kann“, sagt sie, „noch nicht mal ein Schwimmbad.“ Also kommt sie hierher – auch wenn sie Burgen bauen, Schmuck basteln und Holzschiff zimmern „eher was für die Jüngeren“ findet.

In Skandis Heimatviertel Kattenturm allerdings ist auch was los. Dort läuft ein Aktionsprogramm für sechs- bis 14jährige. Die Mitarbeiterinnen des Jugendclubs der Arbeiterwohlfahrt haben ein Extra-Programm für ihre Sommerkundschaft ausgeklügelt. „Gestern waren wir im Zirkus und morgen fahren wir an die Weser mit dem Fahrrad“, erzählt die zehnjährige Mandy begeistert und beißt in ihre Bratwurst.

Zwischen zehn und 20 Jungen und Mädchen stehen jeden Tag pünktlich um 13 Uhr beim Jugendclub auf der Matte; bei der Jugendfarm sind es 100. „Rund 80 Kinder, 20 Jugendliche und dann noch Besucher“, sagt Susanne Molis. „Der Stadtteil ist sehr kinderreich, alle können wir nicht auffangen.“ Trotzdem gibt es in den Workshops noch freie Plätze. Theoretisch können auch ältere Jugendliche teilnehmen – wie etwa der Berufsschüler Scansi und seine Freunde. Statt darauf zu warten, eine Attraktion vor die Nase gesetzt zu bekommen, könnten sie auch selbst aktiv werden. Ihr Vorteil – sie sind dafür alt genug.

Trotz des attraktiven Angebots wollen einige Kattenturmer Mütter ihre Töchter oder Söhne nicht zum Jugendclub lassen. „Die Kinder gehen da so brutal miteinander um“, sagt eine Mutter aus dem Stadtteil. „Das ist ein Urteil der Kategorie Vorurteil“, kontert eine Mitarbeiterin des Jugendhauses. Das Haus sei ein gewaltfreier Raum. „Wir achten besonders darauf, daß die Älteren fair zu den Jüngeren sind“, erklärt die Mitarbeiterin. „Versteh' ich nicht“, sagt Mandy über die Sorgen der Mutter. Sie lugt zum Grill hinüber, wo ihre Betreuerinnen die zweite Ladung Würste wenden. „Die beiden passen doch auf uns auf. Und wenn die Großen uns zu doll ärgern, kriegen die Budenverbot.“ Andrea Reidl

Infos gibts im Kulturhaus Katt unter Telefon 821692