Die Sehnsucht nach Grausamkeit

■ Revisited: Götz George erledigt in „Der Sandmann“ jeden Ansatz parfümierter Hochkultur (Samstag, 20.15 Uhr, RTL 2)

Tm3 mit Fußball. Aber die Wege der Produktionsgelder und Ausstrahlungsrechte sind wie die des Herrgotts nun einmal nicht immer transparent. Jedenfalls hat sich RTL 2, sonst eher die Schießbude unter den Privaten, 1995 mit „Der Sandmann“ von Regisseur Nico Hoffmann ein Luxusprodukt mit kostspieliger Besetzung ins Haus geholt, das ihm soviel Quote, Preise und Aufmerksamkeit bescherte, die selbst stabilste Naturen direkt in den Größenwahnsinn getrieben hätte. „Das ist ein Thriller, der als Glanzlicht des Fernsehjahres für das Genre im Gedächtnis bleibt“, jubelte die Adolf-Grimme-Preis-Jury, nahm dann sogar das Wort „Gesamtkunstwerk“ in den Mund und winkte mit Gold. Dem Sender muß es gegangen sein wie Al Bundy bei einer Nobelpreisverleihung.

Ein schlachterfahrener Frauenmörder mußte es im „Sandmann“ zwar doch sein, schließlich paßt das immer noch am besten zwischen die 1.254. Ballermann-Reportage oder die konsequent durchgewichsten Beiträge über Mädchenhändler und Straßenstrich.

Wo ein Götz George mordet, wächst zwar kein subtiles Pflänzchen mehr, aber immerhin erledigt er mit seinem Berserkertum nicht nur seine vermeintlichen Opfer, sondern auch jeden Ansatz parfürmierter Hochkultur. Und alles nasale Geschnacke um Eros und Tod, wie sich das für bildungsbürgerliche Klemmbacken gehören mag, kommt hier amüsant grobklotzig daher. Daß Götz George nicht nur „Totmacher“-Qualitäten für seine Rolle als schriftstellernder Frauenmörder und glänzender PR-Stratege mitbringt, sondern auch die für ihn typischen Rampensau-Exaltationen, stört hier nicht weiter. Schließlich geht es in „Der Sandmann“ um einen Extrem-Narzißten, der es mit den Mechanismen des nicht minder psychotischen Fernsehens aufnimmt. Mit seiner Inszenierung als ungebremster Triebtäter, der mit diesem Image seine Biographie auf die Bestsellerliste lancieren kann, spiegelt dieser Sandmann nur, was das Fernsehen in seinem Innersten zusammenhält. Zu gut kennt er die Verbindung zwischen dem Sensationellen, dem Voyeuristischen, dem primitiv Sadistischen und all den anderen Schwellkörpern des TVs.

Am Ende, wenn auch die ehrgeizigste Journalistin (Karoline Eichhorn) feststellen muß, daß ihre Recherchen nicht mehr an das Licht der Wahrheit holen als interessante Vorurteile und die eigene Sehnsucht nach grausamen Großstadtmärchen, hat der Zynismus des Pseudomörders über die des Pseudoaufklärers Fernsehen gesiegt. Vorläufig. Denn das Medium ist längst selbstsatt genug, um alles mit den Wonnen der Selbstreferenz zu absorbieren. Natürlich ist auch der „Sandmann“ am Ende Teil diese ungeheuer eitlen Endlosschleife, in der das Fernsehen seine Feinde gleich mit unter Vertrag nimmt. Birgit Glombitza