„Schach ist brotlose Kunst“

Ab heute spielen in Las Vegas 100 Schachspieler um den WM-Titel des Weltverbandes Fide, aus Deutschland ist nur Großmeister Matthias Wahls dabei    ■ Von Hartmut Metz

Berlin (taz) – Matthias Wahls sagt: „Schach ist eine brotlose Kunst!“ Und er muß es wissen. Wahls ist der einzige Deutsche unter 100 Teilnehmern der heute beginnenden K. o.-WM des Weltverbandes Fide.

Der 31jährige steht nicht nur für die verfahrene Situation im deutschen Schach, der Hamburger Großmeister nennt auch – nachdem er die Konsequenzen mit einem Berufswechsel zog – die Ursachen beim Namen. Von 1860 bis 1921, als der geniale Mathematiker Emanuel Lasker nach 27jähriger Regentschaft als Weltmeister entthront wurde, bildeten ausnahmslos deutschsprachige Koryphäen die Spitze. Spätestens seit dem Rückzug auf Raten des medienscheuen Dr. Robert Hübner, WM-Anwärter in den 70er und Anfang der 80er Jahre, rutschte das Land der Dichter und Denker beim königlichen Spiel in die Zweitklassigkeit ab.

Selbst zugewanderte Weltklasse-Großmeister wie der Russe Artur Jussupow bauten in der neuen Heimat merklich ab. Der Grund: Allein von Preis- und Startgeldern kann keiner seine Familie üppig ernähren. Zubrote gehen jedoch zu Lasten der Spielstärke. „Im Vorjahr erhielt ich die Offerte, für 3.000 Mark bei den Dortmunder Schachtagen anzutreten. Ich hätte mich auf den zweiwöchigen Wettbewerb einen Monat vorbereiten müssen. Sechs Wochen Arbeit sollten also mit 3.000 Mark vergütet werden. Das erschien mir für den Deutschen Meister unangemessen“, kommentiert Wahls die wenig erfreuliche Marktsituation, die von den vielen genügsamen Großmeistern aus dem Osten diktiert wird. Wahls verdingt sich inzwischen lieber als Vermittler von steuersparenden Immobilien und initiierte eine Internetfirma.

Selbst der überbordende Markt für Schachbücher und Lehrgänge warf nur noch karge Gewinne ab. „Es ist lächerlich: Für ein Computerseminar blättern die Leute mehrere Tausender hin, aber wegen zwei-, dreihundert Mark für die Dienste eines Großmeisters knausern die Amateure. Die deutschen Vereinsmeier wollen alles umsonst“, klagt Wahls. Sein Fazit lautet folglich: „Ich kann niemandem raten, sich ganz und gar auf Schach zu konzentrieren. Daß es kaum deutsche Talente gibt, kommt nicht von ungefähr.“

Seinem Hobby frönte der Hamburger Bundesligaspieler zuletzt bei einem Turnier im November, weshalb er in der nationalen Rangliste auf Platz sieben abrutschte. Für die WM in Las Vegas hatte sich Wahls jedoch bereits im Frühjahr 1998 beim Zonenturnier in Dresden qualifiziert, „weil ich von meiner Stärke vor zwei Jahren profitierte“. Bei der K. o.-WM trifft Wahls im Caesars Palace in zwei Partien auf Altin Cela. Albanien stellt damit – trotz nur 22 Spielern in der Weltrangliste gegenüber mehr als 4.000 deutschen – gleich viele WM-Teilnehmer wie der weltweit zweitgrößte Verband. Den albanischen Spitzenspieler, der als Internationaler Meister eine Stufe unter dem Großmeister rangiert, erachtet Wahls als eine „lösbare Aufgabe“. Mit 9.600 Dollar Preisgeld für das Erreichen der zweiten Runde hätte sich der Flug in die Wüste gelohnt. Anschließend rechnet der Hanseat jedoch mit dem Aus gegen Wassili Iwantschuk.

Der ukrainische Weltranglisten-Achte zählt in Abwesenheit der beiden führenden Garri Kasparow (Rußland) und Viswanathan Anand (Indien), die im Oktober ihr eigenes WM-Match bestreiten wollen, zu den Mitfavoriten. Alexander Morosewitsch, die Nummer vier auf dem Globus, verweigert sich ebenso wie seinrussischer Landsmann Anatoli Karpow. Die wochenlange Hängepartie des Titelverteidigers stieß bei Großmeister-Kollegen auf Unverständnis. Nach den Dortmunder Schachtagen mußte sich der 48jährige wegen seiner „Blockade“ – die Fide wollte Karpow nicht mit 130.000 Dollar aus seinen Verträgen im August herauslösen – wüste Attacken des Wiesbadeners Eric Lobron gefallen lassen. Trotzig beharrt der auf Platz zehn abgeglittene Karpow dennoch darauf, daß es sich bei der Fide-Veranstaltung nur um eine Art „Weltpokal“ handele und es eben dann künftig „vier Weltmeister“ von eigenen Gnaden gebe.

Vor allem drei Spielern ist zuzutrauen, am 29. August in die Fußstapfen des Weltmeister-Triumvirats Karpow, Kasparow und Bobby Fischer, der den Titel 1975 kampflos abgab, zu treten: Im Kampf um den Löwenanteil der 3 Millionen Dollar Preisgeld besitzen Wladimir Kramnik (Rußland), Alexej Schirow (Spanien) und Peter Leko (Ungarn) die besten Chancen. Und dann wäre da noch Iwantschuk. Matthias Wahls sieht dem möglichen Zusammentreffen nicht gänzlich ohne Träume entgegen. „An guten Tagen schlägt er Kasparow, an schlechten kann Wassili gegen jeden verlieren“, hofft der deutsche Ex-Meister auf das schwache Nervenkostüm des Ukrainers.